Wenn Strafgefangene Verbrecher spielen
Das Gefängnistheater aufBruch inszenierte Brechts Parabel „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“

Arturo Ui spricht zum Volk. Gestik und Pose erinnern an einen anderen Verbrecher der Geschichte.  | Foto:  aufBruch
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  • Arturo Ui spricht zum Volk. Gestik und Pose erinnern an einen anderen Verbrecher der Geschichte.
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Premierenfeier nach einer gelungenen Premiere. Publikum und Darsteller mischen sich. Die Akteure werden beglückwünscht. Es gibt ein Büffet und Getränke, allerdings alkoholfrei. Die Feier fand an einem lauen Sommerabend im Freien statt.

So weit, so gewöhnlich. Ungewöhnlich war aber der Ort. Ein Innenhof in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Dort war zuvor am 23. August zum ersten Mal die aktuelle Produktion des Gefängnistheaters aufBruch aufgeführt worden. Im Innenhof stand eine Tribüne mit Platz für rund 150 Zuschauer. Davor eine Bühne, angereichert durch zwei containerartige Requisiten, in denen zahlreiche Szenen spielten. Das Ensemble besteht aus Strafgefangenen. Gezeigt wurde „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, die Gangsterparabel von Bertolt Brecht.

Anologie auf Hitler

Brecht hat das Stück 1941 im amerikanischen Exil verfasst. Es handelt davon, wie Verbrecherboss Arturo Ui durch Drohung, Nötigung und Terror nach und nach die Macht im Chicago übernimmt. Ui ist ein Abziehbild des legendären Mafiabosses Al Capone im Chicago der 1920er- und 30er-Jahre. Er ist aber vor allem eine Analogie auf Adolf Hitler und den Nationalsozialismus in Deutschland. In beiden Fällen sind Verbrecher mit Intrige und Gewalt zur Herrschaft gekommen, die sie danach brutal verteidigen.

Damit dieser Zusammenhang auch ersichtlich wird, rekapituliert ein Ansager zwischen den Szenen aus Chicago immer wieder über die dazu passenden Geschehnisse im Deutschen Reich. Arturo Uis zunächst vergeblicher Versuch der Einflussnahme findet die Parallele in Hitlers zunächst vergeblichen Versuchen an die Regierung zu kommen. Das ändert sich erst, als sie die jeweils führende Figur durch Erpressung und Einschüchterung gefügig machen. Im Stück ist das der bisherige Chicago-Herrscher Dogsborough, sein Gegenbild der Reichspräsident Paul von Hindenburg. Beider Achillesversen sind Skandale, derentwegen sie unter Druck gesetzt werden können. Ihre Anhänger sind verunsichert, weil die Geschäfte schlecht laufen, Analogie zur Weltwirtschaftskrise. Durch Terror wird die Verunsicherung gesteigert. Ui verspricht Schutz durch Schutzgeld und Gehorsam vor einer Gewalt, die der selbst produziert hat. Ähnlich wie Hitler. Die Macht vergrößert sich durch weitere Landnahme. „Cicero“ steht bei Bertolt Brecht für Österreich.

Der Gefangenenchor. In die Inszenierung wurden mehrere bekannte Songs eingebaut. | Foto: aufBruch
  • Der Gefangenenchor. In die Inszenierung wurden mehrere bekannte Songs eingebaut.
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Die Inszenierung orientiert sich an der Vorlage, geht aber auch darüber hinaus. Vor allem die musikalische Untermalung ist eine eigene Beigabe. Dafür sorgen drei Musiker der „17 Hippies“, die wie das aufBruch-Team mit Regisseur Peter Atanassow zum externen Teil des Gefängnistheaters gehören. Eingebaut sind auch bekannte Songs der damaligen Zeit. „Mein kleiner grüner Kaktus“. „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ oder „Lili Marleen“. Sie werden von den Darstellern im Chor vorgetragen. Sie laufen gerade hier zu Hochform auf. Ein besonderer Kniff war, dass die Rolle des Arturo Ui von zwei Schauspielern übernommen wird. Seinen Aufstieg verkörpert ein jüngerer Akteur. Sein Etablieren als „Führer“ ein Älterer.

16 JVA-Insassen machten mit. Fast alle, die sich dafür gemeldet hätten, wären auch dabei geblieben, sagte der Regisseur. Hinter ihnen lag eine harte Probezeit. Sieben Wochen, je vier Stunden täglich von Montag bis Freitag, wurde das Werk einstudiert. Das Ergebnis hatte mit Laienspielgruppe nichts mehr zu tun. Auffallend bei fast allen Akteuren war ihre Präsenz. Selbst Hänger im Text wurden durch Gestik, Mimik oder Improvisation manchmal unmerklich überspielt. Und bei einigen Darstellern scheint es sich um Naturtalente zu handeln. Oder hat sie die langjährige Teilnahme an den aufBruch-Produktionen dazu gemacht?

Arturo Ui (vorne) und Mitglieder seiner Gang. | Foto: aufBruch
  • Arturo Ui (vorne) und Mitglieder seiner Gang.
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Arturo Ui sei bereits das fünfte Werk, bei dem er mitmacht, erzählte der Darsteller des älteren Ui. Und der Mann, der den Dogsborough mimte, sagt, dass nach einem kurzen Auftritt bei der „Hermannschlacht“ im vergangenen Jahr dies sein erster größerer Part sei. Sie seien ja alle aus ganz unterschiedlichen Gründen hier. Während der Theaterarbeit wachse aber unter den Darstellern eine Gemeinschaft, erklärte er einen weiteren Antrieb für die Teilnahme.

Seinen Akteuren habe sich die Parabel vom Gangsterboss auf den diktatorischen Massenmörder nicht sofort erschlossen, sagte Peter Atanassow. Als reiner Vergleich oder Gleichsetzung greift sie auch zu kurz. Entscheidender ist die ähnliche Struktur beim Aufbau und Absichern totalitärer Dominanz. Auch aktuell gebe es Schutzversprechen einer politischen Partei, die nicht zuletzt auf Unsicherheiten aufbaue, meinte der Regisseur. Solchen Tendenzen müsste entgegengetreten werden. Bereits Brecht hat ja in seinem Titel suggeriert, dass der Aufstieg des Arturo Ui aufhaltsam gewesen wäre.

Restkarten erhältlich

Die Aufführungen erfreuen sich großer Nachfrage. Alle Vorstellungen gelten als ausverkauft, möglicherweise sind aber für die eine oder andere noch Restkarten erhältlich. Es gibt Stammkunden. Andere Premierengäste waren dagegen zum ersten Mal hier. Außerdem befanden sich zahlreiche Angehörige der Schauspieler im Publikum. Einlass gibt es nur nach Anmeldung. Vor Betreten der JVA müssen alle Wertsachen eingeschlossen werden und jeder Besucher wird kontrolliert. Der Weg zum und vom Aufführungsort erfolgt in geführten Gruppen.

Vorstellungen sind am 7. und 8. sowie vom 13. bis 15. September 17.30 Uhr, Einlass ist ab 16.15, das letzte Mal 17 Uhr. Karten, soweit noch vorhanden, unter shop.gefaengnistheater.de. Weitere Informationen gibt es im Internet auf www.gefaengnistheater.de.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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