Die Ära des Flughafen Tegel ist am 8. November vorbei
Als gäbe es ein nie endendes Ende

Einst stilbildend, heute eher ein Anachronismus: das Flughafengebäude in Tegel. Die Leere dieses Bildes ist der Corona-Krise geschuldet. Bis zum März 2020 starten hier hier täglich Zigtausende ihre Reise. | Foto: Thomas Frey
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  • Einst stilbildend, heute eher ein Anachronismus: das Flughafengebäude in Tegel. Die Leere dieses Bildes ist der Corona-Krise geschuldet. Bis zum März 2020 starten hier hier täglich Zigtausende ihre Reise.
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Das Schicksal des Flughafens Tegel gleicht dem eines Kranken, der sich, entgegen aller ärztlichen Prognosen, immer wieder aufrappelt. Dessen Lebenserwartung eigentlich bereits lange abgelaufen ist, der aber weiter existiert – wenn auch mit Ächzen und Stöhnen.

Zuletzt sollte der Flugbetrieb am 1. Juni eingestellt werden, dann zwei Wochen später. Befristet zunächst für drei Monate, aufgrund der eingebrochenen Flugbewegungen und Fluggastzahlen wegen Corona. Dass es danach noch einmal einen Re-Start geben könnte, war zumindest fraglich. Am 30. Oktober soll ja der BER in Schönefeld endlich eröffnen, Tegel gut eine Woche später, am 8. November, endgültig schließen.

Vorzeitige Schließung abgesagt

Das gilt jetzt erneut, nachdem das angekündigte letzte Boarding im Juni kurzfristig abgesagt wurde. Denn inzwischen sind wieder mehr Flieger unterwegs – verglichen mit früheren Sommerferienzeiten jedoch relativ wenige. Für Tegel brachten sie aber eine weitere Lebensverlängerung.

Tegel ist inzwischen zu einem Mythos geworden. Ganz anders als einst Tempelhof, aber nicht weniger aufgeladen. Dazu hat bereits das lange Sterben beigetragen. Aber auch seine Geschichte. Wer verstehen will, wie sehr sich das heutige Berlin vom alten West-Berlin unterscheidet, findet hier manche Erklärung.

Vom Jagdrevier des Königs
zum Raketentestgelände

Dabei geht die Historie des Luftverkehrs an diesem Ort um einiges weiter zurück. Das einstige Jagdrevier der preußischen Könige wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts zum Militärgelände. Während des Ersten Weltkriegs befand sich hier ein Testgelände für Luftschiffe. Das endete, als Deutschland nach 1919 deren militärische Nutzung verboten wurde. Ab 1930 wurde dann mit anderen Flugkörpern experimentiert – Raketen. Daran beteiligt war auch ein gewisser Wernher von Braun. Was in Tegel begann, setzte sich später in Peenemünde fort, wo unter seiner Ägide in der NS-Zeit die sogenannten V1- und V2-Waffen gebaut wurden. Später arbeitete von Braun in den USA am Apollo-Programm mit, dessen Höhepunkt die Mondlandung war.

Das Flughafenzeitalter begann nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde aus der Not geboren. Tegel war ein Kind der Berlin-Blockade und der Luftbrücke. Die Versorgung der West-Berliner per Flugzeug lief zunächst über die Flughäfen Tempelhof und Gatow. Die waren sehr schnell mit den oft im Zweiminutentakt ankommenden Rosinenbombern an ihrer Kapazitätsgrenze. Ein weiterer Flughafen musste her. Das Terrain dafür: die Fläche nördlich der Jungfernheide. In nur drei Monaten wurde ab August 1948 eine Start- und Landebahn gebaut – mit 2428 Metern die damals längste in Europa.

Kennedy landet
bei lengendärem Berlinbesuch in Tegel

Gut zehn Jahre später begann die zivile Nutzung. Die lange Landebahn ermöglichte es den immer größer werdenden Maschinen, dort aufzusetzen – auch der Air Force One des US-Präsidenten John F. Kennedy, als der im Juni 1963 zu seinem legendären Besuch in die Stadt kam („Ich bin ein Berliner“). Bis 1974 erfolgen der Abflug und die Ankunft an der Nordseite des Flughafens. Das änderte sich mit der Eröffnung des bis heute markanten Hektagons im Süden.

Der Neubau, entworfen vom zu dieser Zeit noch unbekannten Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner galt damals als stilbildend. Kurze Wege von der Ankunft bis zum Gate. Von dort über einen Tunnelschlauch direkt in die Maschine. Selbst Menschen, die zum ersten Mal einen Flughafen betraten, konnten sich hier kaum verlaufen. Das funktionierte aber nur bei einer überschaubaren Masse an Passagieren. Konzipiert war Tegel einst für jährlich etwa 2,5 Millionen Fluggäste. Vor Corona lag die Zahl bei 22 Millionen.

TXL boomt nach der Wiedervereinigung

Zu West-Berliner Zeiten war die Kapazität völlig ausreichend. Die (Halb)Stadt vermittelte auch beim Flugverkehr eher das Bild einer Insel. Wer hier überhaupt starten und landen konnte, bestimmten die Westalliierten, die auch jeweils ihre oder eine ihrer Airlines in Position gebracht hatten. Direkte Ziele ab Tegel waren zudem überschaubar. Das änderte sich nach der Wiedervereinigung. Fast jeder Quadratmeter unterlag irgendwann irgendeiner Nutzung. Der Einstieg findet schon lange nicht mehr allein über die Luftschläuche statt. Das Gewirr auf dem Vorfeld war in den vergangenen Jahren nicht anders als anderswo.

Für die Fluggesellschaft Air Berlin wurde 2007 eine neue Abfertigungshalle gebaut. Diese wurde 2011 sogar noch einmal erweitert, obwohl eigentlich kurz darauf der Umzug nach Schönefeld erfolgen sollte. Air Berlin gibt es seit fast drei Jahren nicht mehr. Die Halle steht noch immer. Sie erwies sich ebenso widerstandsfähig, wie manches andere in Tegel.

Wohnungen und ein Technologiepark
sind die Zukunft

Aber damit soll jetzt spätestens im Herbst endgültig Schluss sein. Ein Technologie- und Wissenschaftspark und viele Neubauwohnungen sollen die Nachfolge des Flughafens antreten – schon lange geplant, aber wegen einiger Probleme in Schönefeld bisher nur auf dem Papier.

Es hat einige Initiativen gegeben, den Flughafen weiter am Leben zu erhalten. Vor allem mit Verweis auf noch immer steigende Fluggastzahlen. 2017 sogar einen erfolgreichen Volksentscheid. An der Entscheidung, den Flughafen Tegel dichtzumachen, änderte das nichts. So wird die Geschichte am 8. November jetzt endgültig zu Ende gehen. Oder vielleicht besser, soll an diesem Tag zu Ende gehen. Denn wer will darauf wetten, ob das wirklich passiert?

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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