Die „Tiergartendame“
Richard und Ida Dehmel brachen alle Konventionen ihrer Zeit

Richard und Ida Dehmel aufgenommen vom Fotografen Louis Held (1851-1927) im Jahr 1905. | Foto: Louis Held
2Bilder
  • Richard und Ida Dehmel aufgenommen vom Fotografen Louis Held (1851-1927) im Jahr 1905.
  • Foto: Louis Held
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Am 8. Februar jährt sich zum hundertsten Mal der Todestag von Richard Dehmel. Zu Lebzeiten galt der 1863 im Brandenburgischen Geborene als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker. Sein Fixstern war zunächst Berlin. Und im damaligen kulturellen Zentrum der Stadt, im Tiergartenviertel, hatte er eine schicksalhafte Begegnung.

Dort, in der Lennéstraße, hielt Ida Auerbach, geborene Coblenz, Hof. Die „Tiergartendame“, wie sie von ihren Freunden und Bewunderern genannt wurde, war eine der letzten Salonièren ihrer Epoche. Vorbestimmt war es ihr nicht.

Ida wurde 1870 in eine alteingesessene, reiche, konservative jüdische Familie in Bingen am Rhein hineingeboren. Ihr Vater, Simon Zacharias Coblenz, war Weinhändler und Kommerzienrat. Nach dem frühen Tod seiner Frau erzog er seine fünf Kinder streng. Ida besuchte, wie es für „höhere Töchter“ üblich war, mehrere Mädchenpensionate, unter anderem in Belgien. Aber sie machte auch Bekanntschaft mit einer anderen Welt: Sie wurde die Muse des jungen Stefan George, der ebenfalls in Bingen aufwuchs.

Unglücklich verheiratet

Zu Beginn des Jahres 1895 heiratete Ida Coblenz auf Wunsch ihres Vaters den jüdischen Kaufmann und Konsul von Kolumbien, Leopold Auerbach, Inhaber der Exportfirma Louis Auerbach mit Sitz in der Taubenstraße 20. Hätte Ida geahnt, was ihr dieses Jahr 1895 bringt ...

Das Paar bezieht ein luxuriöses Haus am Tiergarten, in der Lennéstraße 4. Sie war im 19. Jahrhundert eine der vornehmsten Straßen Berlins, das großbürgerliche Wohnquartier Berliner Geistesgrößen. „Ich habe mir damals die Freude gemacht, dieses Tohuwabohu von Menschen auf einen ganzen Sonntag zu mir einzuladen“, sollte sich Ida später in einem 1930 gehaltenen Vortrag erinnern. Ihre Ehe war unglücklich. Aber Ida hatte die Möglichkeit, ihre Türen für die Künstler der Stadt zu öffnen.

Ihre Gäste waren „junge Wilde“, alternative und antibürgerliche Bohemiens: Künstler wie Edvard Munch und Stanislaw Przybyszewski, Conrad Ansorge, Hedwig Lachmann und Julie Wolfthorn. Und der mit der Märchendichterin Paula Oppenheimer verheiratete Richard Dehmel, Mitbegründer der Zeitschrift Pan, seit kurzem freier Schriftsteller und Autor solcher Zeilen: Schmück dir das Haar mit wildem Mohn,/die Nacht ist da,/all ihre Sterne glühen schon./All ihre Sterne glühn heute Dir!/du weißt es ja:/all ihre Sterne glühn in mir!

Es war Liebe auf den ersten Blick zu der schwangeren Ida Auerbach. Im Herbst 1895 kam ihr Sohn Heinz Lux zur Welt. Er fiel im Ersten Weltkrieg.

Pilgerstätte für Künstler

Ida und Richard sprengten die Konventionen ihrer Epoche. 1898 kann die „Tiergartendame“ die Ehe mit Leopold Auerbach auflösen. Der Konsul wurde wegen des Verdachts auf betrügerischen Bankrott festgenommen. Im Jahr darauf ließ sich Dehmel von seiner Frau scheiden. Ida und Richard reisten zwei Jahre gemeinsam durch die Welt. 1901 heirateten sie in London und zogen nach Hamburg. Ihr „Dehmelhaus“ in Blankenese wurde zur Pilgerstätte der Kunst und Kultur. Richard Dehmel starb am 8. Februar 1920 an einer Venenentzündung, die er sich als Soldat im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte.

Nach dem Tod ihres Mannes gründete Ida eine „Dehmelstiftung“, eine „Dehmelgesellschaft“ und eine Manufaktur für Perlarbeiten. Sie setzte sich für Frauenklubs und Künstlerinnenvereinigungen ein. Sie gründete die noch heute existierende Gedok, die „Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“. Die Nazis verfemten sie. Ida wollte nicht auswandern. Sie blieb in Deutschland. Sie erlebte den Abtransport ihrer Freunde und Nachbarn. Die Schlinge zog sich immer enger zu. Als sie sich für unheilbar krank und auf andere angewiesen fühlte, setzte sie am 29. September 1942 ihrem Leben ein Ende.

Das alte Tiergartenviertel war bis zur Machtübernahme der Nazis das Epizentrum der Moderne, der Lebens- und Schaffensmittelpunkt von Kunstsammlern und Galeristen, Schriftstellern und Künstlern. Der „verschwundenen Stadt“ spürt am 21. Februar der Stadthistoriker Fred Riedel nach. Luise Hart, Dominik Hartz, Aurelius Thoss und Alina Weinert liefern Texte und Musik aus der Zeit 1900 bis 1933. Die Veranstaltung in der Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, beginnt um 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Richard und Ida Dehmel aufgenommen vom Fotografen Louis Held (1851-1927) im Jahr 1905. | Foto: Louis Held
Herwarth und Nell Walden 1916 in ihrer Wohnung in der Potsdamer Straße. | Foto: Land Berlin
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

19 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 123× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 239× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 227× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 77× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 285× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 635× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.