Spaziergang im Herbst: Besuch auf dem Friedhof Heerstraße
Nieselregen ist auf dem gilbenden Laub zu glänzenden Perlen geronnen, da geht Birgit Jochens wieder einmal ihren Weg. Eben schon zog ein ganzer Tross von Kiezspaziergängern die Hänge entlang. Jetzt bespricht sie die Abfolge von Gräbern noch einmal im privateren Rahmen. An ihrem alten Lieblingsort kann es nicht falsch sein, dass man die Wege zweimal geht.
Jochens ist ihren Begleitern als frühere Leiterin des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf noch bestens bekannt, auch den Friedhof Heerstraße hat mancher schon ausgiebig erkundet. Nun also hört man die Geschichte der Schauspieler, Künstler aus berufenem Munde. "Das war mein Startpunkt in die Bezirkshistorie", verrät die Expertin den Flaneuren. Jochens Buch über diesen Ort: vergriffen.
Der Landschaftspark für Lebende und Tote: ab 1910 für die Villenkolonie Westend am Sausuhlensee errichtet, später auf fünf Hektar erweitert und wahrscheinlich eines der markantesten Werke des Gartenbaumeisters Erwin Barth.
Zu den Besonderheiten, die Jochens herausstellt, gehört der interkonfessionelle Charakter. Statt pompösen Marmorengel prägt das Ensemble noch immer die Offenheit für Gestaltungswünsche außerhalb der kirchlichen Tradition. Auch eine nackte Frauengestalt wurde hier und da genehmigt - jedoch kein Kirsch. Die Dichte an Prominenten, sie verpflichtet zu einer ganz eigenen Linie zwischen Diskretion und Experimentierfreude. Da liegt Helene Lange, Frauenrechtlerin und Wegbereiterin der Studienmöglichkeit für das weibliche Geschlecht. Man stößt auf Thea von Harbou, Drehbuchautorin von "Metropolis" und "Dr. Mabuse". Auch ihr, sagt Jochens, wurde es wie Leni Riefenstahl der Umstand zum Verhängnis, zur Nazizeit ihre Blüte erreicht zu haben. Erstaunlich schlicht ausstaffiert liegt ein Stück weiter Schauspielerin Tilla Durieux neben dem Gatten und Kunsthändler Paul Cassirer. Im Leben getrennt, im Tode vereint.
Bildhauer Georg Kolbe schläft nicht weit von seinem Atelier, drei Stelen bestimmen seine Gattin und Muse Benjamine als Mittelpunkt des Lebens.
Und dann steht man bei Loriot, man kann ihn gar nicht verfehlen. Das eigentlich sehr schlichte Andenken an Vicco von Bülow ist von Dutzenden Quietscheentchen bevölkert. Man ließ die Fans gewähren, und Jochens meint: "Er hätte sie wahrscheinlich mit Fassung genommen."
Schließlich erreicht das Grüppchen den Flecken, wo Theodor Deubler und Georg Grosz beieinander liegen. Der eine weltreisender Dichter, der andere dadaistischer Künstler, nach seiner Emigration nach New York, wo er am allgemeinen Unverständnis gelitten habe, "wie ein Fisch auf dem Trockenen", 1959 nach Berlin zurückgekehrt, wohnhaft am Savignyplatz 5. Bis zu jener Julinacht. Freunde brachten Grosz schwer betrunken zur Pforte des Hauses und wähnten ihn dort sicher. Er aber öffnete die Tür zur Kellertreppe - und stürzte in den Tod.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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