Abschied vom privaten Auto: Bezirk will Parkplätze für Carsharing und Kiezkultur reservieren

Freiheit beginnt mit Umdenken: In der Modellregion sollen mancherorts Parklücken für den herkömmlichen Autoverkehr entfallen. | Foto: Thomas Schubert
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Charlottenburg. Ein Umfrageergebnis mit Folgen: Nur noch 40 Prozent der Anwohner des Klausenerplatz-Kiezes und der Mierendorff-Insel sind abhängig vom eigenen Auto. Deshalb will der Bezirk dort den Stadtverkehr von morgen erproben. Herkömmliche Parkplätze werden zum Experimentierfeld.

Jetzt also leben sie in einem Labor. Rund 25 000 Menschen in zwei ökologisch gesinnten Stadtvierteln Charlottenburgs dürfen Verkehrsformen der Zukunft als erste erproben.

Schon im Sommer 2016 öffnete in den Kiezen östlich der Schlossstraße und zwischen Spree und Westhafenkanal das Projekt „Neue Mobilität“ die Tür für weitergedachtes Carsharing, Elektromobilität und radfahrerfreundliche Politik. Jetzt legen die Aktionspartner nach, so dass Stadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) bei einem Fachtag verkünden konnte: „Die Veränderungen werden kommen. Und wir wollen versuchen, sie zu steuern.“

Innerhalb der Vision eines nachhaltigen Bezirks müsse der Verkehr die entscheidende Rolle spielen. Dass man ausgerechnet in den Vierteln am Mierendorff- und Klausenerplatz neue Mobilität erprobt, liegt an einem Befragungsergebnis. Laut Gabriele Wendorf von der Technischen Universität (TU) Berlin gaben 60 Prozent der Teilnehmer an, sie hätten „keine hohe Abhängigkeit vom eigenen Auto“. Unter dem Motto „Wie sind Sie denn unterwegs?“ hatten die Aktionspartner Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, das Zentrum für Technik und Gesellschaft der TU Berlin, die Berliner Agentur für Elektromobilität eMO und die BMW Group erfragt, unter welchen Bedingungen sich Anwohner von ihrem Privatauto trennen könnten. Die Schlussfolgerung: Wenn man ihnen Alternativen anbietet und sogar garantieren kann, dass sie zum Beispiel einen frei flottierenden Carsharing-Dienst an einem bestimmten Parkplatz vor der Tür finden können, wäre das eigene Auto für die meisten entbehrlich. Eine Erkenntnis, die auch einen der größten Autobauer Deutschlands dazu bewegt, neue Wege zu erfahren – hin zum Auto, das man lieber teilt, als es zu besitzen. „Die Aktion im letzten Sommer war der Kickoff“, zeigt sich Frank Hansen von der BMW-Group überzeugt, in den „Pilotquartieren“ nachzusetzen.

Was heißt das konkret? Stadtrat Schruoffeneger will mit Rückendeckung des Landes ab Sommer gezielt bestehende Parkplätze im Projektgebiet für Carsharing-Dienste reservieren. So entfiele die Suche nach dem Leihwagen – und zugleich der entscheidende Vorzug des Pkw in Privatbesitz. An bestimmten Stellen könnten also zwei bis drei Parklücken eine besondere Widmung erhalten und wären für den herkömmlichen Verkehr tabu. Auch als Freiräume für Kiezkultur sind die jetzigen Abstellflächen zu gebrauchen, wie eine Art Salon unter freiem Himmel in der Mindener Straße beweisen hat. Dort hatte die Firma Insel-projekt.berlin vor ihrer Tür per Ausnahmegenehmigung ein Sofa aufgestellt – und hofft nun darauf, die lauschige Lücke in Zukunft wieder zu bespielen.

Als Insellösung in Sachen Zukunftsverkehr solle man die Neuerungen im Pilotgebiet nicht verstehen, beugt Schruoffeneger einem Missverständnis vor. Was sich in den Modellkiezen bewährt, soll nach und nach in allen Teilen von Charlottenburg-Wilmersdorf Einzug halten. Und vielleicht auch auf große Bauvorhaben abfärben. Dass man für die Tiefgarage des Großprojekts Werkbundstadt mit etwa 1000 neuen Wohnungen am Spreebord 95 Carsharingplätze aushandeln kann, hätten vor einem Jahr nur Idealisten geglaubt. tsc

Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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