Panik sieht anders aus
Der Coronavirus in Steglitz-Zehlendorf - Eine Reportage von der Schloßstraße

Das Ehepaar Tautenhahn will auch in Corona-Zeiten nicht auf seinen Spaziergang verzichten.  | Foto: Lukas Rameil
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Das Coronavirus hält Einzug ins Land. Medien berichten in Newsblogs von aktuellen Infektionszahlen und Toten. Der Berliner Senat hat umfangreiche Maßnahmen beschlossen. Doch wie sehr lassen sich die Menschen in Steglitz-Zehlendorf davon beeinflussen? Ein Besuch auf der Schloßstraße. 

Mitte März in Berlin, strahlender Sonnenschein bei frühlingshaften Temperaturen. Auf der zweitgrößten Einkaufsmeile der Stadt herrscht reges Treiben: Junge Frauen mit Einkaufstaschen flanieren an Cappuccino trinkenden Rentnerpärchen vorbei. Alles wie gehabt also?

Ivan Buriak (27) würde dem widersprechen. Ich treffe ihn am Hermann-Ehler-Platz. Er wohnt um die Ecke und glaubt, dass vieles Fassade ist und den Leuten unterschwellig die Angst in den Knochen steckt. Er ist selber Arzt und schätzt die Situation realistisch ein: "Da wird noch was auf uns zukommen". Sein Rucksack ist voller Hygiene-Mittel, er schmunzelt als ich ihn darauf anspreche und verweist auf die Familie zuhause. 

"Frische Luft hat noch nie geschadet"

Weiter Richtung Westen begegne ich Dietmar (87) und Brigitte Tautenhahn (86). Sie wohnen in der angrenzenden Zimmerstraße und sind für einen Spaziergang nach draußen gegangen. Haben Sie Angst – Stichwort Risikogruppe? Sie müssen schmunzeln, winken ab, nach dem Motto: Das Leben ist sowieso endlich. Das sagen sie nicht, dafür aber ganz Praktisches: "Frische Luft hat noch nie geschadet, und das können sie uns nicht verbieten". Menschenansammlungen und enge Räume vermeiden aber auch sie. 

Wo sind nun die Maskenträger, die sich nur wegen ganz dringlicher Erledigungen noch auf die Straße trauen?

Wieder zurück Richtung Rathaus. Dann eine Entdeckung: Eine Frau mittleren Alters hat einen Mundschutz vor ihr Gesicht gespannt. Ich zögere erst, vielleicht ist sie infiziert. Sie möchte namentlich nicht genannt werden und natürlich kein Foto machen. Aber nein, Corona hat sie nicht, nur chronische Vorerkrankungen. Sie sagt, sie wundere sich ehrlich, warum die Menschen so fahrlässig sind und zuckt zusammen als eine Ambulanz mit Martinshorn durch den Stadtverkehr rauscht. Ich verabschiede mich und sehe aus dem Augenwinkel, wie sie eine Zigarette am Mundschutz vorbei in den Mund schiebt und ansteckt. 

Schichten von drei auf eine reduziert

Die wirtschaftliche Dimension wird mir bewusster, als ich Isabel (19) treffe. Sie kommt aus Schweden und jobbt im nahegelegenen "Espresso House". Die Mitarbeiter-Schichten wurden von drei auf eine reduziert. Sie sagt, wenn sie nicht auf ihre Summe im Monat kommt, muss sie Berlin verlassen, vielen Freunden von ihr gehe es ähnlich. Hat sie Angst um ihre Gesundheit? Nein, aber sie sorgt sich um ältere Menschen und versucht im Cafè so gut es geht Abstand zu halten.  

Marco (36) und Dominik (19) haben Mittagspause. Sie arbeiten für einen Malerbetrieb auf einer Baustelle in der Rothenburger Straße. Marco sorgt sich natürlich um die Gesundheit von Frau und Kind, doch treiben ihn auch die wirtschaftlichen und praktischen Folgen um. Er fragt sich, ob seine Frau ihren Job bei den öffentlichen Badeanstalten behalten wird und wann das Kind wieder die Kita besuchen kann. Das Verhalten der Politik empfinden sie als chaotisch, doch wirklich aufregen können sie sich nicht darüber. "Business as usual" steht in ihren Gesichtern geschrieben. 

Ogbogu (10), Okwukwem (8) und Meeka (5) gehen fast alle auf die Rothenburgschule. Sie waren mit ihrer Mutter einkaufen und sind nun glücklich über vorzeitige Osterferien. Die Hygiene-Vorschriften nehmen sie ernst, wachsam verfolgen sie die Informationslage, besonders der Älteste Ogbogu kann aktuelle Corona-Newsblogs herunterbeten. Und ihre Stimmung? Die Verabschiedung mit den Jungs spricht Bände, hopsend auf einem Bein. Wir lachen und die Jungs verschwinden in die S-Bahn. Panik im Kiez sieht anders aus.

Autor:

Lukas Rameil aus Alt-Treptow

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