Vom kleinen Guido bis zur Rosenzucht
In einer neuen Broschüre erzählen Britzer auch von großer Geschichte

Hilmar Krüger auf dem Gelände der Späth’schen Baumschule, über die er auch in dem Heft geschrieben hat. Erst seit einem Gebietsaustausch 1938 liegt sie auf Treptower Areal, zuvor gehörte Späthsfelde zu Britz. | Foto:  Schilp
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  • Hilmar Krüger auf dem Gelände der Späth’schen Baumschule, über die er auch in dem Heft geschrieben hat. Erst seit einem Gebietsaustausch 1938 liegt sie auf Treptower Areal, zuvor gehörte Späthsfelde zu Britz.
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Seit 15 Jahren trifft sich eine Gruppe von Menschen, die Erinnerungen austauschen, Fotos, Biografien und Dokumente zur Lokalgeschichte sammeln, forschen, Texte schreiben und veröffentlichen. Gerade ist der dritte Teil von „Britzer erzählen“ erschienen.

Hilmar Krüger ist nicht nur Vorsitzender des Neuköllner Heimatvereins, sondern auch beim Erzählkreis aktiv. „Wir halten es für wichtig, dass all diese Geschichten nicht verloren gehen“, sagt er. Und die sind breitgefächert. Auf 90 Seiten und in rund 60 Kapiteln geht es um Kinos, Geschäfte und Straßenbahnlinien, die längst verschwunden sind, um Erinnerungen an die Zeit im „Deutschen Jungvolk“ der Nazis, um Teltow-Kanal-Erlebnisse, den ersten Kirchenbau nach dem Zweiten Weltkrieg und eine Kindheit im Schloss Britz.

Alltag zwischen Sektorengrenzen

Besonders schön ist es, wenn sich in kleinen persönlichen Geschichten großes Zeitgeschehen spiegelt. So wie beim Baby Guido. Als Sohn einer alleinerziehenden und arbeitenden Mutter sollte er tagsüber von der Tante in Tegel betreut werden. Doch weil man das Jahr 1947 schrieb und Tegel zum französischen Sektor gehörte, gab es dort keine Lebensmittelmarken für den Knirps. Schließlich stammte er aus dem amerikanisch verwalteten Teil Berlins. Also mussten die Britzer Großeltern einspringen. Später, Anfang der 1950er-Jahre, schmuggelten Oma und Opa in Guidos Sportkarre so manches Mal Lebensmittel von der Kaufhalle am S-Bahnhof Baumschulenweg nach Hause in die Gielower Straße. Das Geld war knapp, denn der Großvater bekam, wie auch die anderen ehemaligen Beamten, nur eine karge Rente statt einer Pension – darauf hatten die Amerikaner gedrungen. So stand ab und zu ein Fußmarsch über die Späthbrücke auf der Tagesordnung, um mit Ost-Geld einzukaufen. Erlaubt war das nicht, doch die Volkspolizisten an der Sektorengrenze hielten Kinder offenbar für unverdächtig und kontrollierten das Gefährt nicht.

Lange vor dieser harten Nachkriegszeit, Ende des 19. Jahrhunderts, war Britz weit über seine Grenzen hinaus bekannt – als Standort von Gärtnereien und vor allem als „Rosenbritz“. Besonders der Lehmboden zwischen dem heutigen Koppelweg und der Mohriner Allee war hervorragend für die Zucht der edlen Blumen geeignet. Es entstanden viele Gewächshäuser, in denen innerhalb von 15 Tagen bis zu drei Millionen Rosen geschnitten und mitunter zu Rosenöl verarbeitet wurden. Anlass genug, um 1911 das erste Britzer Rosenfest mit Gästen aus aller Welt zu feiern.

Gewerkschafter und Sozialdemokraten

Von der Landwirtschaft zurück zu den Bewohnern: In der neuen Großsiedlung rund um das Hufeisen lebten seit den 1930er-Jahren etliche Gewerkschafter und Sozialdemokraten. Besonders viele waren es zwischen Parchimer Allee, Fritz-Reuter-Allee, Gielower und Malchiner Straße. Makaber: Das Karree wurde auch „Konzentrationslagersiedlung“ genannt. Die Nazis müssten nur einen Stacheldraht um den Wohnblock ziehen, dann wären alle Sozialdemokraten weggesperrt, hieß es damals. Einer der berühmtesten Bewohner der Hufeisensiedlung war der Literat und Anarchist Erich Mühsam, der 1934 in einem Konzentrationslager ermordet wurde. Schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs versammeln sich jedes Jahr im September Menschen an seinem Gedenkstein an der Dörchläuchtingstraße, um an ihn zu erinnern. Was viele nicht wissen und in der Broschüre berichtet wird: Jahrelang behinderte die Polizei das Gedenken, sperrte die Straße, kontrollierte willkürlich die Teilnehmer, schnitt Gedenkschleifen von Kränzen. Ab 1955 traten die Beamten nicht mehr so aggressiv auf, dennoch verschwanden über Nacht viele Schleifen und tauchten in Mülltonnen wieder auf. Bis heute gibt es Vorkommnisse und Anschläge in der Hufeisensiedlung, die der rechtsradikalen Szene zugeordnet werden.

Der Britzer Gesprächskreis trifft sich jeden zweiten Mittwoch im Monat um 15.30 Uhr in der Seniorenfreizeitstätte Bruno Taut, Fritz-Reuter-Allee 50. Dort ist auch die Broschüre gegen eine Spende von zwei Euro zu haben. Zu erreichen ist der Kreis per E-Mail an britzer.kreis@gmail.com und unter Tel. 54 71 55 04.

Hilmar Krüger auf dem Gelände der Späth’schen Baumschule, über die er auch in dem Heft geschrieben hat. Erst seit einem Gebietsaustausch 1938 liegt sie auf Treptower Areal, zuvor gehörte Späthsfelde zu Britz. | Foto:  Schilp
Hilmar Krüger auf dem Gelände der Spät’schen Baumschule, über die er auch in der Broschüre geschrieben hat. Erst seit einem Gebietsaustausch 1938 liegt sie auf Treptower Areal, zuvor gehörte Späthsfelde zu Britz. | Foto: Schilp
Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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