Der "Selbstmörderfriedhof" im Grunewald
Ein letzter Ruheplatz nicht nur für "Verstoßene" und "Namenlose"

Eingang zum Friedhof
5Bilder

Grunewald.Verwaschene Hinweisschilder mitten im Berliner Grunewald weisen auf einen mystischen Ort hin, der vor mehr als hundert Jahren angelegt wurde. Inmitten des Kiefernwaldes, in der Nähe des Schildhornweges, der von der Havelchaussee quer durch den Wald bis zum S-Bahnhof Grunewald verläuft, wurde eine letzte Ruhestätte für all derer angelegt, die freiwillig aus dem Leben geschieden sind. Darum wird der kleine Friedhof auch als „Selbstmörderfriedhof“ oder Friedhof der „Namenlosen“ benannt.

Bis 1845 war der Freitod-Versuch in Preußen ein Verbrechen, aber auch danach wurde allen, die ihrem Leben selbst ein Ende setzten, ein würdiges Begräbnis verwehrt. Wie lange der Friedhof im Grunewald-Forst bereits betrieben wird, ist unklar, vermutlich wurde der Friedhof schon vorher im Wald „versteckt“.

Der Friedhof der Namenlosen

Als die erste Bestattung 1900 offiziell vermerkt wurde, sollen bereits 800 Leichen dort begraben worden sein. Selbstmörder, oder auch schwangere Dienstmädchen und verschuldete Spekulanten, die aus dem Leben scheiden wollten, durften früher nicht auf kirchlichen Friedhöfen begraben werden. Erst als Berlin im Jahr 1920 das kirchliche Bestattungsmonopol abschaffte, wurde der „Schandacker“, wie er auch genannt wurde, offiziell als Friedhof ausgewiesen.

Auffallend auf dem mit einer Mauer umgebenen Areal sind fünf hölzerne orthodoxe Kreuze, die an fünf Russen erinnern, die über den Sieg der Bolschewiki und den Tod ihres Zaren so bestürzt waren, dass sie sich selbst töteten und später aus der Havel gezogen wurden. Aber auch Oberhofjagdmeister Will Schulz hat hier seine letzte Ruhe gefunden, nachdem er zum einfachen Förster degradiert, den gesellschaftlichen Abstieg nach der Auflösung der Monarchie nicht verkraftete und dem Ruf des Todes folgte.

Ein stilles Plätzchen hat hier auch die Sängerin Nico (Christa Päffgen) gefunden. Ende der 60er-Jahre sang sie auf dem Debütalbum der New Yorker Art-Rocker The Velvet Underground mit „All Tomorrow’s Parties“ oder „Sunday Morning“ die vielleicht schönsten traurigen Songs aller Zeiten.
Bereits als Teenager zierte sie die Titelblätter verschiedener Pariser Modemagazine, spielte in Fellinis „La Dolce Vita“ (1960), hatte Affären mit Jim Morrison, Lou Reed und Brian Jones von den Rolling Stones und war viele Jahre heroinabhängig. 1988, im Alter von 49 Jahren, ist sie auf Ibiza nach einem Fahrradunfall zu Tode gekommen. Nach ihrem ruhelosen Leben zwischen Paris, Berlin, New York und Ibiza, hatte sie vorher schon den Wunsch geäußert, einmal neben ihrer Mutter zu liegen, die im Grunewald begraben war.

Sängerin Nico hat hier ihre letzte Ruhe gefunden

So kommt es nach über 30 Jahren immer noch vor, dass Menschen mit einer starken Verbindung zu Nico, hilfesuchend durch den Wald irren, um den kleinen Friedhof zu finden, der der Pop-Ikone unter dem Schatten der immergrünen Föhren die Ruhe verschafft, die sie im Leben vergeblich suchte. Text und Fotos: Klaus Tolkmitt

Autor:

Klaus Tolkmitt aus Lichtenrade

Webseite von Klaus Tolkmitt
Klaus Tolkmitt auf Facebook
following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 187× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 166× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 227× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 603× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.