Erinnerung an den Zitadellen-Retter
Ein Weg für Wladimir Gall

Kulturstadtrat Gerhard Hanke (Mitte) mit Galls Enkelin Anastasia Dobrowolskaja und ihrem Sohn Nikita und Gall-Freund Sigurd Hauff (4. von rechts) am Namensschild.  | Foto: Christian Schindler
8Bilder
  • Kulturstadtrat Gerhard Hanke (Mitte) mit Galls Enkelin Anastasia Dobrowolskaja und ihrem Sohn Nikita und Gall-Freund Sigurd Hauff (4. von rechts) am Namensschild.
  • Foto: Christian Schindler
  • hochgeladen von Christian Schindler

Der Weg um die Zitadelle heißt seit dem 20. Januar „Wladimir-Gall-Weg“, pünktlich dessen 100. Geburtstag. Lange Zeit war umstritten, wie des „Zitadellen-Retters“ würdig gedacht werden könne.

Die erste von zwei Enthüllungen verwies symbolisch auf den langen Weg, der in der Zitadellenstadt bis zur Ehrung von Wladimir Gall zu beschreiten war. Als Galls Urenkel Nikita und seine Enkelin Anastasia Dobrowolskaja zusammen mit Kulturstadtrat Gerhard Hanke (CDU) das Tuch von einem Wegeschild zogen, blieb ein Teil des Stoffes am Namensschild hängen. Hanke musste noch einmal in die Höhe greifen, zuletzt mit Unterstützung von Nikita, damit Wladimir Galls Name vollständig zu lesen war. Bei der zweiten Enthüllung mit Spandaus Alt-Bürgermeister Sigurd Hauff (SPD) und der Bezirksverordneten Anne Düren (parteilos, für die Linke) ging es dann etwas glatter.

Immerhin ging damit ein Weg beinahe ins Ziel, der 2011 begonnen worden war. Beinahe deswegen, weil jetzt zwar Galls Name sichtbar ist, doch was es mit ihm und der Festung auf sich hat, wissen nur diejenigen, die sich mit der Geschichte der Zitadelle befasst haben. Hanke will nun dafür sorgen, dass im Zitadellenumfeld mehr Informationen über Gall zu lesen sind.

Verhinderung eines Blutbades

2011 erreichte Spandau die traurige Nachricht, dass Wladimir Gall am 9. September verstorben war. Kennern der Zitadellen-Historie galt er als der „Zitadellen-Retter“. Der Germanist hatte am 22. Juni 1941 in Moskau im Alter von 22 Jahren sein Diplom erhalten. Unter dem Eindruck des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion meldete er sich freiwillig zum Militärdienst. Ende April 1945 stand er im Rang eines Hauptmanns und in der Funktion eines Dolmetschers vor der Zitadelle, in die sich zahlreiche Zivilisten geflüchtet hatten, in der sich aber auch Volkssturm- und Wehrmachteinheiten verschanzt hatten. Zusammen mit seinem Vorgesetzten Major Wassili Grischin sollte er die kampflose Übergabe der Festung verhandeln. Das Scheitern der Mission hätte ein Blutbad und wohl auch die weitgehende Zerstörung der Gebäude zur Folge gehabt.

Bekanntlich ging die Sache am 1. Mai gut aus, und Gall war lange Zeit der einzige, der davon berichtete. Ein filmisches Denkmal setzte der Defa-Regisseur Konrad Wolff seinem Freund und in Kriegszeiten auch Vorgesetzten Gall 1963 mit dem Film „Ich war 19“. Seit den 1980er Jahren war Gall ein gern gesehener Gast in Spandau, persönlich befreundet mit dem Bürgermeister Sigurd Hauff (SPD). Die beiden machten mit Unterstützung vieler aus Erinnerungsprojekten zur Zeitgeschichte auch einen gewichtigen und konkret fassbaren Beitrag zur deutsch-sowjetischen, später deutsch-russischen Freundschaft.

Gedenktafel nicht angemessen

Nach dem Tod von Gall entbrannte jedoch ein Streit um die angemessene Art der Erinnerung. Eine im Torbogen des Eingangs der Zitadelle angebrachte Gedenktafel erschien 2015 den Initiatoren von SPD und Grünen nicht angemessen. In den Streit mischte sich die alte, tief im Kalten Krieg verwurzelte Auseinandersetzung, ob die Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 eine Niederlage oder nicht eher eine Befreiung, nämlich vom menschenverachtenden System des Nationalsozialismus war, wie es immerhin schon 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) formuliert hatte.

Dazu kam der Versuch, die Geschichte genauer zu betrachten. Untersuchungen der Heimatkundlichen Vereinigung Spandau, unterstützt von einem Zeugenaufruf im Spandauer Volksblatt, ergaben ein differenziertes Bild der Vorgänge. Danach kam es vor den Verhandlungen zum Artilleriebeschuss der Zitadelle. Die Kapitulationsverhandlungen waren gekoppelt an die Befehlsstruktur der Roten Armee. Auf deutscher Seite musste jeder Offizier, der eine Kapitulation in Betracht zog, damit rechnen, erschossen zu werden. Dass sich der Urheber dieses Führerbefehls, Adolf Hitler, Ende April mittels Selbstmord vor der Verantwortung für seine Verbrechen gedrückt hatte, war schließlich noch nicht bekannt. Das alles muss das Verdienst des Dolmetschers Gall nicht schmälern.

Tat war Ausgangspunkt
für Freundschaft

Die Wegbenennung hatten dann SPD, Linke und Grüne in der Bezirksverordnetenversammlung auf den Weg gebracht, wobei sie zunächst den direkten Weg zur Zitadelle als Teil der öffentlichen Straße Am Juliusturm im Blick hatten. Den Vorschlag, den bürokratisch leichter zu benennenden Weg in den Grünanlagen um die Zitadelle zu nehmen, hatte Kulturstadtrat Hanke gemacht. Die meisten mit der Angelegenheit Befassten dürften Kleebank darin zustimmen, dass die „historische Tat der Ausgangspunkt für Freundschaft war“. Für Galls Enkeltochter Anastasia Dobrowolskaja jedenfalls „sind wir auf dem Weg von Wladimir Gall“, deutlich sichtbar mit der Wegbenennung zum 100. Geburtstag. Sein Vermächtnis sei erst erfüllt, so die Bennungsinitiatorin Anne Düren, wenn nationalistische Ressentiments keine Macht mehr haben.

Autor:

Christian Schindler aus Reinickendorf

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

13 folgen diesem Profil

3 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 170× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 261× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 255× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 108× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 323× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 654× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.