"Die Leute sind freundlich"
Drei englische Snobs am Potsdamer Platz

Das Esplanade in den Zwanzigern. | Foto: Bundesarchiv / Herbert Hoffmann
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  • Das Esplanade in den Zwanzigern.
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In der Nacht zum 1. Februar hat das Vereinigte Königreich die EU verlassen. Möglich, dass den Engländern Europa, der Kontinent, fremd wird, wie es schon einmal vor hundert Jahren war. Damals machten sich begüterte Untertanen seiner Majestät auf, im Auto durch Europa zu reisen auf der Suche nach so etwas wie „europäischem Bewusstsein“.

So zumindest hat es Robert Byron in seinen Reiseschilderungen „Europa 1925“ formuliert. Berlin und das Herz der Stadt, der Potsdamer Platz, wurden auf diesen Erkundungsreisen selten ausgelassen.

Der damals 20 Jahre junge Hochschulabsolvent Robert Byron, ein entfernter Verwandter des berühmten Dichters, und seine beiden Freunde David Henniker und Simon O'Neill beginnen ihre Reise quer durch Europa mit Ziel Athen am 1. August 1925. Ihr Gefährt ist ein mit einer Unmenge an Koffern bepackter großer Tourenwagen der englischen Marke „Sunbeam“, dem sie den Namen Diana geben.

Diana bringt sie zunächst in die Hafenstadt Grimsby, wo sie das 1910 gebaute Passagier- und Frachtschiff SS Accrington nach Hamburg besteigen. Von der Hansestadt geht es 200 englische Landmeilen, zirka 322 Kilometer, nonstop nach Berlin. Das Trio braucht sechs Stunden für die zumeist holprig verlaufende Fahrt. Erst in Brandenburg werden die Straßen besser. Sie sind gepflastert oder asphaltiert.

Um acht Uhr abends erreicht das Trio den Potsdamer Platz. Recht aufsehenerregend soll sich ihre Ankunft vor dem Grand Hotel Esplanade gestaltet haben. Zumindest das Personal dieser Edelherberge, das zu den berühmtesten Berliner Hotels während der Goldenen Zwanziger gehörte, staunt nicht schlecht über die spleenigen Engländer, die gerade vorfahren.

"Wir starrten zu Hindenburgs Fenstern hinauf"

Byron, Henniker und O'Neill beziehen ihre großen, luftigen Zimmer im ersten Stock, die sie in Hamburg per Telefon reserviert haben. Der Blick aus den französischen Fenstern geht in den ruhigen begrünten Innenhof. Die jungen Herren ziehen sich für das Abendessen um, wie es damals noch üblich war. Das Hotelrestaurant ist gut besucht. Sie speisen Kaviar und Forelle, so blau wie Ming-Porzellan.

Am nächsten Morgen fällt das Aufstehen schwer. Denn das Frühstück wird ans Bett gebracht inklusive einem Buch mit Detektivgeschichten und einem Exemplar des Berliner Tageblattes. Die jungen Snobs besuchen im Verlauf des Vormittags eine Cocktailbar und anschließend ein Restaurant an der Potsdamer Straße. Sie sitzen in einer Laube. An vergoldeten Spalieren rankt echter Wein vor gemalten Landschaftsansichten empor.

Anderntags warten die Freunde in einer dichten Traube von Menschen vor dem Reichspräsidentenpalais an der Wilhelmstraße. „Wir starrten zu Hindenburgs Fenstern hinauf. Aber er ließ sich nicht blicken.“ 1925 war die Reichspräsidentenwahl vorzeitig notwendig geworden. Der erste Reichspräsident, Friedrich Ebert, war am 28. Februar des Jahres unerwartet gestorben. Am 26. April hatte Hindenburg die Wahl gewonnen. Er kandidierte für den antirepublikanischen „Reichsblock“. Sein Gegner war Wilhelm Marx vom republikanischen „Volksblock“.

Die drei Engländer blieben nur ein paar Tage in Berlin, genug um festzustellen, dass die Stadt eine freundliche Atmosphäre, eine großartige Allee Unter den Linden, gut unterhaltene Straßen und Tramlinien habe und das von Adelspalästen umstandene Brandenburger Tor prächtig sei. „Und die Leute sind freundlich – viel freundlicher als in Frankreich oder Italien“, hält Robert Byron fest. Das sei entscheidend für den Eindruck, den man von einer Stadt gewinne.

Das Grand Hotel Esplanade am Potsdamer Platz existiert nicht mehr. Es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Ein kleiner Rest ist ins Sony Center integriert worden. Die Berliner sind heute herzlich-rauh. Robert Byron starb 1941 im Alter von 35 Jahren, als ein deutsches U-Boot das Schiff torpedierte, das ihn im Auftrag der BBC nach Ägypten bringen sollte. Sein Leichnam wurde nie gefunden.

Das Esplanade in den Zwanzigern. | Foto: Bundesarchiv / Herbert Hoffmann
Das Hotel wurde im Krieg zu 90 Prozent zerstört. Wo es einmal stand, werden heute hinter Glas Innenwände des historischen Frühstückssaales ausgestellt.  | Foto: KEN
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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