Jungunternehmer eröffnen Läden am Rüdesheimer Platz
Wilmersdorf. Vom Eiscafé zu Ehren von Oma Lotte bis zur vegetarischen Hundekekserei: Am Rüdesheimer Platz hat sich der Leerstand in den Ladenlokalen mit einem Schlag halbiert. Wie konnte das gelingen?
Zungen zum Schlecken, Zungen zum Schnattern. Endlich gebrauchen Leute am „Rüdi“ wieder ihr Mundwerk. Und der Allerwerteste ruht derweil auf weißen, geschnörkelten Stühlen, die auch zu Großmutter Lottes seligen Zeiten hier gestanden haben könnten. Tatsächlich verdankt das „Lotte am Platz“ seinen Namen Frank Volkmanns Oma.
„Der Eigenbedarf war nun einmal da“, begründet er seinen Entschluss, den Rüdesheimer Platz mit kalten Spezialitäten und warmen Teigwaren zu versorgen. Volkmann lebt ja selbst am Platz, er kennt die Wünsche der Nachbarn, er kannte auch die Misere.
Dreieinhalb Jahre lang blickten Passanten vor diesen Fenstern ins Dunkle – und jetzt das: Eis, Kaffee, Kuchen. Wären die Ladenlokale in den markanten Altbauhäusern ein Gebiss, dann hätte jeder Zahnarzt bis vor Kurzem einen Schreck bekommen. Lauter Lücken zwischen Fenstern, gefüllt mit ziemlich speziellen Waren. Dinge, die viele Berliner in ständig neu eröffnenden Einkaufspassagen erstehen. Oder online, mit dem Hintern auf der Wohnzimmer-Couch statt auf geschnörkelten Stühlen.
Der Rüdesheimer Platz mit seiner traditionellen Geschäftsphilosophie drohte auszubluten. Er litt so sehr an zwölf verschlossenen Türen, dass Glasermeister Sven Klingele, Inhaber von "Glas macht Spaß" und seit fast 20 Jahren im Geschäft, nicht mehr zuschauen mochte. „Diese Zahnlücken hatten Wirkung auf alle anderen Läden“, erklärt er heute, da sechs der zwölf dunklen Fenster wieder leuchten. Klingele schaltete Bürgermeister Reinhard Naumann ein. Und der ließ nach zwei Ortsterminen die Wirtschaftsförderung in Aktion treten, auf dass man sich ein Bild darüber verschafft, wem die Ladenlokale gehören und woran die Vermittlung scheitert. Also glühten die Drähte bei Eigentümern, teilweise wohnhaft im fernen London.
Ob es an überhöhten Mietforderungen lag? Dazu will sich Naumann nicht äußern. „Die Aktion sollte ergebnisoffen laufen“, erinnert er sich. Das Ergebnis war der Erfolg. Neu am Platz sind Handlungen wie der „Grashüpfer“, ein Geschäft für Kindermode, die Buchhandlung „Mertiny und Sohn“, gegründet von einem Branchenkenner, der ein Gegenmodell wollte zu großen Ketten und Onlineriesen. Neu im Kiez wirtschaftet auch „Die Hundekekserei Königsplätzchen“ in der Landauer Straße, zum Wohle von „King Kalle“, einem äußerst empfindlichen Dackel. Am Totenbett seiner Mutter gelobte Konditormeister Matthias Schellhorn einen Laden zu gründen für Hunde-Delikatessen, die auch für Menschen verbindliche Standards erfüllen. Bio, vegetarisch, frei von großindustriellen Übeln. Der Bestseller? Ein Keks namens „Kalle Banana“, schmackhaft selbst für menschliche Gourmets. „Manchmal futtern Frauchen und Herrchen mehr als das Tier“, wagt Schellhorn zu behaupten. Und Namensgeber Kalle? Der verträgt nur die bekömmlichste aller Kreationen. „Kalle free“, ohne Gluten. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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