Start in Blankenburg
Die Geschichte einer missglückten Ballonflucht

Alexander Schmid (rechts) mit einer Ausgabe der Berliner Morgenpost, in der seinerzeit über die missglückte Flucht berichtet wurde. Sören Marotz berichtet indes von dem, was man über diese Flucht weiß. | Foto: Bernd Wähner
5Bilder
  • Alexander Schmid (rechts) mit einer Ausgabe der Berliner Morgenpost, in der seinerzeit über die missglückte Flucht berichtet wurde. Sören Marotz berichtet indes von dem, was man über diese Flucht weiß.
  • Foto: Bernd Wähner
  • hochgeladen von Bernd Wähner

Die alte Gas-Reglerstation an der Schäferstege 14 nimmt heute kaum noch jemand wahr. Hinter Bäumen und Sträuchern verschwindet das Klinkerbauwerk. Kaum vorstellbar, dass hier ein tragisches Ereignis vor 35 Jahren seinen Lauf nahm.

Am 8. März 1989 befüllte der Ingenieur Winfried Freudenberg gemeinsam mit seiner Frau einen selbst gebauten Ballon mit Erdgas, stieg in den Blankenburger Himmel auf, absolvierte eine Irrfahrt über Westberliner Gebiet und stürzte dann in Zehlendorf ab. Dieser Fluchtversuch endete für den 32-jährigen tödlich. Er gilt als letzter DDR-Bürger, der bei einem Fluchtversuch von Ost- nach West-Berlin ums Leben kam.

Tragischer Held

An dieses Ereignis erinnerten bei einem Vor-Ort-Termin Sören Marotz, der Ausstellungsleiter des DDR Museums, und Alexander Schmid, der die Geschichte dieses Ballon-Fluchtversuchs recherchierte. Die beiden Männer lernten sich in Vorbereitung der Sonderausstellung „Ein Land und seine Helden“ kennen, die 2022 im DDR Museum zu sehen war. „Wir wollten in dieser Ausstellung nicht nur strahlende Helden wie Siegmund Jähn, sondern auch tragische Helden zeigen“, berichtet Sören Marotz. Zu dieseen gehörte eben auch Winfried Freudenberg.

Mit dessen Leben hatte sich Alexander Schmid in den zurückliegenden zehn Jahren intensiv beschäftigt. „Ich wohnte 1989 in West-Berlin und hörte in den Abendnachrichten von der missglückten Flucht“, erinnert sich Schmid. Einen Zeitungsstapel mit Ausgaben der Berliner Morgenpost, des Tagesspiegels und der taz hat er beim Vor-Ort-Termin an der Gas-Reglerstation dabei. „Ich verfolgte die ganze Geschichte, fand sie spannend, wollte irgendetwas daraus machen. Aber dann hatte ich als junger Mann anderes zu tun. 2014 packte ich das Thema wieder an und begann, die Geschichte zu recherchieren.“

Buch und Hörspiel entstanden

Alexander Schmied suchte in Archiven nach Unterlagen und Stasi-Protokollen. Er sprach mit Zeitzeugen. Nach und nach erfuhr er mehr über den Menschen Winfried Freudenberg und über die Geschichte seiner missglückten Flucht. Mit seiner Unterstützung hat die Autorin Caroline Labusch zu diesem Fall das Buch „Ich hatte gehofft, wir können fliegen: Die Geschichte einer tragischen Flucht im Frühling 1989“ geschrieben. Außerdem entstand ein Hörspiel.

Doch wer war Winfried Freudenberg? Der 32-Jährige hatte seinen Hauptwohnsitz in Lüttgenrode, wohnte aber in der Christburger Straße in Prenzlauer Berg. Er war beim VEB Energiekombinat Berlin als Ingenieur angestellt. Unter anderem war er auch in der Gas-Reglerstation in Blankenburg immer wieder tätig. In solchen Stationen wurde das Erdgas, das aus der Sowjetunion kam, vom Druck her so runterreguliert, dass es in Haushalten verwendet werden konnte. Den Recherchen zufolge hatte Freudenberg vor, mit seiner Frau mittels Ballon nach West-Berlin zu fliehen. Monatelang schweißten sich die beiden mit einem handelsüblichen Folienschweißgerät aus Haushaltsfolien einen Ballon zusammen, der letztlich rund 14 Meter hoch war. Den versteckten sie unter ihrem Bett. Dann verfolgten sie tagelang den Wetterbericht. Schließlich musste der Wind Richtung Westen wehen, damit sie über die Mauer gelangen können.

Schwere Entscheidung: Es flieht nur einer

Nach längerem Warten vermeldete der Wetterbericht die gewünschte Windrichtung. Das Ehepaar Freudenberg machte sich mit dem Trabi, der darin verstauten Ballonhülle und einigen persönlichen Sachen auf den Weg zur Schäferstege 14. Dort befüllte Freudenberg den Ballon mit Gas. Doch der große, weithin sichtbare Ballon erregte trotz nächtlicher Dunkelheit Aufmerksamkeit. „Gegen 2 Uhr bemerkten die beiden, dass sich Polizeifahrzeuge nähern“, berichtet Alexander Schmid. „Sie entschieden, dass nur Winfried mit dem Ballon aufsteigen soll, weil die Ballonhülle noch nicht vollständig gefüllt war. Zu zweit hätten sie wohl nicht abheben können. Die Polizei kam nicht so schnell auf das Grundstück, weil die Freudenbergs die Eingangstür vorsorglich abgeschlossen hatten.“

So stieg Winfried Freudenberg späteren Berechnungen zufolge sehr rasch auf, wobei er zunächst noch in einer Hochspannungsleitung hängen blieb, sich aber rasch befreien konnte. Recht schnell erreichte er eine Höhe über 1000 Meter. Schon bald überflog er den Flughafen Tegel. Aber offenbar hatte er da schon Probleme. Er war nur leicht bekleidet. In der Höhe, in der er flog, herrschten aber Temperaturen um minus 6 Grad Celsius. Offenbar um sich bemerkbar machen zu wollen, warf er über dem Flughafen eine Tasche ab. Doch nachts zwischen 2 und 3 Uhr bemerkte ihn keiner, und auf dem Radar sah man ihn offenbar auch nicht.

Absturz in Zehlendorf

Die Folge des Taschenabwurfs: Der Ballon stieg in noch höhere Regionen und änderte auch seine Richtung, weil dort andere Windverhältnisse herrschten. Kurz bevor er wieder DDR-Gebiet erreichen würde, leitete Freudenberg eine Landung ein, wird spekuliert. „Was genau sich abspielte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen“, so Alexander Schmid. Schließlich schlug Winfried Freudenberg nach rund fünf Stunden Ballonfahrt im Vorgarten einer Villa in Zehlendorf auf und verletzte sich dabei tödlich.

An dieses tragische Ereignis erinnert heute eine Gedenktafel am Erdmann-Graeser-Weg in Zehlendorf. Dass dieser Ballonflug seinen Ausgangspunkt in der heutigen Anlage Blankenburg, unweit des S-Bahnhofs nahm, wissen allerdings nur noch die wenigsten.

Autor:

Bernd Wähner aus Pankow

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

83 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 267× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 334× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 329× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 181× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 381× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 706× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.