Schweineöde ist jetzt Geschichte
Wenig schmeichelhafte Bezeichnung schon vor Jahrzehnten geprägt

Dirk Sarnoch kennt den Begriff schon lange. | Foto: Ralf Drescher
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Oberschöneweide wurde im 19. Jahrhundert auf der schönen Weide an der Spree gegründet. Doch nachdem am Spreeufer die Fabriken der AEG errichtet worden waren, etablierte sich im Volksmund der wenig schmeichelhafte Name Schweineöde.

Wann dieser Begriff aufkam, lässt sich kaum eindeutig feststellen. Wie uns mehrere Leser berichten, soll er schon vor langer Zeit benutzt worden sein. „Ich habe meinen Vater gefragt, warum er so oft ,Schweineöde' sagt. Und dann gab es jedes Mal zur Antwort: ,Dit hat meen Vata schon imma jesacht, als ick kleen war'. Und das war um 1930, lange vor der DDR“, schreibt uns Leserin Regine Lemke dazu.

Ähnliches berichtet Reinhold Krause, der Bruder der 2010 verstorbenen Oberschöneweider Ortschronistin Waltraud Krause. „Unsere Eltern sind 1908 nach Schöneweide gekommen. Ich bin 1935 geboren und quasi mit dem Begriff ,Schweineöde' aufgewachsen. Für viele Berliner war das damals eine ,Proletenstadt'. Auf der einen Straße wurde in den Fabriken der AEG geschuftet, auf der anderen Seite gewohnt. Trotz des wenig schönen Namens war Oberschöneweide aber damals eine Kleinstadt mit vielen sozialen Einrichtungen, die das Leben der einfachen Menschen erleichtert haben“, erzählt Reinhold Krause. Er hat die ersten 18 Jahre seines Lebens in Oberschöneweide verbracht, lebt jetzt als Pfarrer im Ruhestand in Weimar und ist immer noch an der Geschichte seiner alten Heimat interessiert. Seine Schwester Waltraud Krause (1925-2010) hatte bereits in den 60er-Jahren Fotos von ihrem Heimatkiez gemacht, die heute im Archiv des Heimatvereins Köpenick bewahrt werden.

Einen, der es auch wissen muss, treffen wir in seiner Buchhandlung in den Spreehöfen. Dirk Sarnoch (53) hat fast sein ganzes Leben in Oberschöneweide verbracht. Gelernt und gearbeitet hat er bis zur Wende als Maschinenschlosser im Transformatorenwerk. „Den Begriff ,Schweineöde' habe ich in den Siebzigern von meinen Eltern gehört. Damals sah es auch wirklich öde aus. Rund um den Rathenauplatz hatte die Wohnungsverwaltung die maroden Balkone abgesägt. Es gab bereits Gerüchte, dass die gesamte historische Wohnbebauung an der Wilhelminenhofstraße Neubauten weichen sollte. Vermutlich hat erst das Ende des SED-Regimes diese Planungen beendet“, berichtet Sarnoch, der vor fünf Jahren die einzige Buchhandlung im Ortsteil übernommen hat. Dadurch ist er immer dicht dran, wenn im Kiez was passiert. Ab 1990 hat er sich für seinen Kiez eingesetzt, unter anderem in der Betroffenenvertretung und einer Bürgerinitiative. Als der Bonner Radiomoderator Carsten Otte 2004 seinen Roman „Schweineöde“ heraus brachte, war laut Sarnoch das Geschrei groß. „Der hatte vielleicht ein Jahr im Kiez gelebt. Aber es war ja ein Roman und der muss nicht unbedingt die Wirklichkeit abbilden“, meint er.

Ansonsten ist der Buchhändler mit der Entwicklung zufrieden. Viele Studenten der nahen Hochschule für Technik und Wirtschaft gehören inzwischen zu seinen Kunden und Fördermittel haben nach 1990 dafür gesorgt, dass die sanierten Wohnhäuser aus Kaisers Zeiten nun wieder Balkone haben. „Inzwischen ist ,Schweineöde' Geschichte, und wir Akteure der Nachwendezeit haben mit eine Aktie daran“, sagt Dirk Sarnoch stolz.

Autor:

Ralf Drescher aus Lichtenberg

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