Lasterhaft und gutbürgerlich zugleich: Die Fuggerstraße einst und jetzt

Blick in die Fuggerstraße nach Osten. Hier stehen noch viele denkmalgeschützte Häuser. | Foto: KEN
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  • Blick in die Fuggerstraße nach Osten. Hier stehen noch viele denkmalgeschützte Häuser.
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Es ist noch etwas zu spüren vom „tätigen Bürgertum, das Wissen, Erziehung und Toleranz pflegte“, wie es Gudrun Blankenburg in ihrem Buch über das Bayerische Viertel formuliert hat. Wir befinden uns fast am nördlichen Ende des Quartiers in der baumbestandenen Fuggerstraße.

Die 600 Meter lange Straße trägt erst seit 1957 den Namen der seit 1367 in Augsburg nachweisbaren Kaufmanns- und Patrizierfamilie aus dem Hochadel. Zuvor war sie Teil der 1887 angelegten Augsburger Straße. In die Schneise, die die alliierten Bombenangriffe geschlagen hatte, legten die Westberliner Stadtplaner nach dem Zweiten Weltkrieg die Lietzenburger Straße. Sie zerschnitt die Augsburger Straße. Und diese wurde östlich der Passauer Straße zur Fuggerstraße.

In der Fuggerstraße existieren ganz unterschiedliche Milieus nebeneinander: schwule Subkultur neben Gutbürgerlichkeit. Das mag so manchen an die „Goldenen Zwanziger“ erinnern. Gleich um die Ecke, in der Martin-Luther-Straße, traf sich zwischen 1926 und 1932 „Tout Berlin“ im lasterhaften ersten „Eldorado“, ein „für die weltstädtische Schaulust inszenierter Transvestitenbetrieb“. So beschrieb es Konrad Haemmerling alias Curt Moreck 1931 in seinem alternativen Reise- und Kneipenführer für Berlin.

Es war damals Mode, hier einen Abend zu verbringen. Gäste waren Bankdirektoren, Reichstagsabgeordnete und Bühnenstars wie Marlene Dietrich, Claire Waldoff und Anita Berber, prominente Journalisten und Schriftsteller wie Egon Erwin Kisch und Ferdinand Bruckner, der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld und – SA-Chef Ernst Röhm.

Gegenüber in der „Scala“ traten internationale Stars wie der Jongleur Enrico Rastelli und der Clown Grock auf. 1920 gegründet, war die „Scala“ eine der berühmten Varieté-Bühnen Deutschlands. Als die Nazis die Macht in Deutschland übernahmen, kündigte der Hauptkreditgeber Dresdner Bank die Zusammenarbeit auf. Die „Scala“, zuvor größtenteils in jüdischem Besitz, wurde „arisiert“. Der Betrieb lief bis in den Krieg hinein erfolgreich weiter. Nach der weitgehenden Zerstörung beim großen Luftangriff im November 1943 nutzte das Kabaretttheater „Die Wühlmäuse“ erhalten gebliebene Räume als Spielstätte. Später folgte auch ihr Abriss. Die Baulücke wurde 1970 geschlossen. Wo sich einst der Zuschauer- und Bühnenraum der „Scala“ befand, parken heute Autos.

Zahlreiche denkmalgeschützte Häuser säumen die Fuggerstraße. Dazu gehört das heutige Belegkrankenhaus Hygieia mit der Hausnummer 23. In dem 1908 errichteten Gebäude betrieb ein Prof. Dr. Eisenberg eine Privatklinik und ein Dr. A. Lewandowski das „Sanatorium Hygieia“. Mit dem israelischen Spezialitätenrestaurant „Feinberg's“ gibt es auch heute so ausgesuchte Lokale wie einst das 1904 eröffnete „Horcher“ an der Kreuzung zur Lutherstraße. Gegessen wird am Ort zwar noch. Doch im „Fugger Imbiss“ serviert bestimmt niemand die berühmten „Medaillons Horcher“ oder den „Faisan de presse“. In den 20er-Jahren nahmen an den gerade mal neun Tischen mit acht Kellnern Berühmtheiten wie Fritzi Massary, Richard Tauber oder Franz Werfel Platz.

Als Otto, der Sohn des Restaurantgründers und Weinhändlers Gustav Horcher (1873-1931) aus Baden, das Lokal übernahm, wurde das „Horcher“ bevorzugtes Speiselokal von Nazi-Größen und hohen Luftwaffenoffizieren. Hier verkehrten Albert Speer und Hermann Göring, Ernst Udet und Bruno Loerzer. 1944 verlagerte Otto Horcher sein Lokal nach Madrid. Es existiert noch heute.

Neben Schriftstellern fanden auch bildende Künstler in der Fuggerstraße ihre Motive. 1911 malte Ludwig Meidner den knapp zwei Jahrzehnte zuvor errichteten Gasometer an der Ecke zur Welserstraße. Der 50 Meter hohe Behälter fasste 81 000 Kubikmeter Gas. 1944 wurde er zerstört. Fotograf Herwarth Staudt hielt die Reste noch im Bild fest, bevor sie Anfang der Fünfziger vollends abgerissen wurden. Heute steht an Stelle des Gasometers die Finow-Grundschule.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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