„Ich hatte Todesangst“
Verletztes Wildschwein greift am helllichten Tag zwei Frauen in Biesdorf an
An diesen Tag werden sich Ramona Baer-Kutz aus Biesdorf und Diane Döhring aus Mahlsdorf wohl für immer erinnern. Am 20. Februar wurden die beiden Frauen innerhalb kurzer Zeit am helllichten Tag von einem verletzten Wildschwein attackiert und verletzt. Dieser Vorfall hat beide auch psychisch mitgenommen. Ein Experte sieht darin jedoch einen absoluten Ausnahmefall.
Postbotin Diane Döhring hatte an jenem Montag wie gewohnt ihre Arbeitsschicht begonnen. Sie war mit ihrem Dienstfahrrad gerade dabei, Pakete in ihrem Zuständigkeitsgebiet in Biesdorf zuzustellen. Um 10.15 Uhr an der Straßenecke Habichtshorst und Schwabenallee unweit der Schmetterlingswiesen passierte es dann. „Eine Kollegin wollte mich noch warnen“, beschreibt sie die Situation. Während ihre Kollegin dann noch rechtzeitig hinter einem Auto in Deckung gehen konnte, blieb für sie keine Zeit mehr zum Reagieren.
Fahrradreifen wurde von Felge gerissen
Von einem Grundstück stürzte das Wildschwein durch einen Zaun hindurch direkt auf sie zu und rammte sie. Durch die Wucht löste sich sogar einer der Reifen von der Felge. „Ich saß gerade auf meinem Rad, habe mich einfach nur am Lenker festgehalten. Das hat mich vor Schlimmerem bewahrt.“ Hätte sie nicht auf ihrem dreirädrigen Dienstfahrrad, sondern einem normalen Fahrrad gesessen, wäre sie mit ziemlicher Sicherheit auf dem Boden aufgeschlagen und schwer verletzt worden. Doch auch so hat sie sich durch den Aufprall die Lendenwirbelsäule gezerrt. Sie musste Schmerzmittel einnehmen und wurde krankgeschrieben. An der Stelle, wo das Wildschwein sie angriff, blieb ein kaputter Zaun mit Blutspuren zurück.
Wenig später erwischte es dann Ramona Baer-Kutz. Von der Stelle, an der Diane Döhring attackiert wurde, wohnt sie mit ihrer Familie rund anderthalb Kilometer entfernt. Sie war gerade dabei, einen Bekannten zu verabschieden und öffnete die Gartentür vor ihrem Grundstück in der Alfelder Straße. „Da habe ich im Augenwinkel gesehen, wie etwas angelaufen kommt.“ So schnell habe sie die Tür aber nicht mehr schließen können. Das Wildschwein nutzte seine Chance und schlüpfte durch die Lücke hindurch. Zunächst lief es hinüber zum Nachbargrundstück und dann durch eine Hecke wieder auf die Straße. Ramona Baer-Kutz eilte hinterher, um andere zu warnen, doch dabei geriet sie ins Visier des verletzten Tieres. „Es ist direkt auf mich zu und hat mich umgestoßen.“ Die Geräusche, als das Wildschwein auf ihr stand und zubiss, lassen sie nicht los. „Ich hatte Todesangst, habe geschrien und versucht, mich zu schützen.“ Dabei gelangte ihr Arm in das Gebiss des Wildschweins. Vier- oder fünfmal habe es zugeschnappt. „Ich hatte einen Adrenalinschub vom Feinsten.“ Ihr Bekannter, der zum Laufen zwei Krücken als Hilfe benötigt, sei dann mit den Krücken auf das Tier los und habe es in die Flucht schlagen können. „Er war mein Retter.“
Sieben Stunden habe sie anschließend im Unfallkrankenhaus Berlin verbracht, sei dort genäht worden. Das Wildschwein habe nur um Millimeter die Schlagader verfehlt. Die Biesdorferin hat jetzt Narben am Bein und am Arm. Im Nachgang der Attacke fand Ramona Baer-Kutz heraus, dass auch eine Postbotin angegriffen wurde. Nachdem sie eine Kollegin von Diane Döhring ansprach, meldete die sich bei ihr zurück. So kamen die beiden Frauen in Kontakt und tauschten sich über den Vorfall aus. Die Polizei und ein Jäger seien nach dem Angriff in die Alfelder Straße gefahren. Sie hätten in der Umgebung, zu denen die Kleingartenanlage Am Fuchsberg und das Naturschutzgebiet Biesenhorster Sand gehören, nach dem Wildschwein gesucht, es aber nicht gefunden, erzählt die Anwohnerin. Seit sie 2006 mit ihrer Familie auf dem Grundstück wohnt, seien immer wieder Wildschweine dort gesichtet worden. „Ich würde schon von einer Plage sprechen“, meint sie. Beide Frauen fordern: „Wir brauchen mehr Hinweisschilder und Warnungen an den Schulen.“
Wahnsinniges Pech
Von einer Wildschweinplage in den Siedlungsgebieten will Derk Ehlert, der Wildtierexperte der Senatsumweltverwaltung, hingegen nichts wissen, auch wenn das Wuhletal ein beliebter Lebensraum sei. Genaue Zahlen, wie viele Wildschweine in Berlin leben, gibt es aber nicht. „Wir haben keine Plage. Es wird schon sehr viel geschossen“, sagt er. In seinen mehr als 20 Jahren als Wildtierexperte sei es noch nie vorgekommen, dass ein Wildschwein einen Menschen totgebissen habe. „Mir ist auch kein Fall bekannt, dass ein gesundes Wildschwein einen Menschen angegriffen hat.“ Wildschweine würden generell nur dann angreifen, wenn sie sich eingeengt fühlen ohne Fluchtmöglichkeit, einen Hund als Gefahr wahrnehmen oder wenn ein Mensch sich zwischen eine Bache und deren Frischlinge stellt. „Wenn so ein Wildschwein verletzt ist, ist es immer so, dass es unter besonderer Anspannung steht.“ In jedem Fall rät Derk Ehlert, bei einer Begegnung mit einem Wildschwein einen Augenblick stehen zu bleiben, sich durch lautes Sprechen bemerkbar zu machen und dem Tier Raum zur Flucht zu geben. „Das funktioniert, mache ich selber auch.“ Attacken wie die auf Ramona Baer-Kutz und Diane Döhring kämen, so berichtet es der Experte, nur alle paar Jahre mal vor. Die beiden Frauen hatten demnach wahnsinniges Pech.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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