Lesen aus Tradition
Seit 305 Jahren eine Institution: die Nicolaische Buchhandlung
Im Sommer schreckte den deutschen Buchhandel die Meldung auf, ihm seien acht Millionen Leser abhanden gekommen. Buchhandelsriesen, Online-Handel und E-Books machen den Buchhändlern zu schaffen. Da wirkt es wie ein Licht in der Finsternis, wenn die Nicolaische Buchhandlung bis zum heutigen Tag erfolgreich Geschäfte macht – seit nunmehr 305 Jahren. Sie ist die älteste Buchhandlung in Berlin.
In der Rheinstraße 65 in Friedenau ist die Buchhandlung allerdings erst seit etwa 1926 beheimatet.
Königliches Privileg
Im Jahr 1700 gründete der Wittenberger Bürgermeister und Buchhändler Gottfried Zimmermann eine Filiale in Berlin. 13 Jahre später überließ er seinem Schwiegersohn Christoph Gottlieb Nicolai das Geschäft. Nicolai erhielt am 3. Mai 1713 für sich und seine Erben das königliche Privileg, eine Buchhandlung betreiben zu dürfen.
1758 übernahm sie der jüngste seiner vier Söhne, der Philosoph und Aufklärer Friedrich Nicolai (1733-1811), und führte sie weiter. 1787 kaufte eben dieser Nicolai ein Haus in der Brüderstraße 13 in Mitte und ließ es von Carl Friedrich Zelter umbauen. Ins Erdgeschoss des „Nicolaihauses“ zogen Buchhandlung und Verlag ein. Ab 1825 gingen Buchhandlung und Verlag getrennte Wege. Bis 1866 führten Nicolai’sche Familienmitglieder die Buchhandlung. Anschließend übernahm sie ein langjähriger Mitarbeiter, der das Sortimentsgeschäft weitergab. Am bekanntesten sind wohl die beiden Buchhändler Fritz Borstell und Hans Reimarus. 1891 wurde die Buchhandlung in die Dorotheenstraße verlegt.
Günter Grass kam häufig
Heute gehört die Nicolaische Buchhandlung, die schon Günter Grass liebte, Martina Tittel. Die ehemalige Geschäftsführerin des Kulturkaufhauses Dussmann kaufte im Februar 2015 die Mehrheitsanteile an dem 80 Quadratmeter großen Bücherparadies. Der Mehrheitsgesellschafter war im Jahr zuvor gestorben. Sein Partner, Minderheitsgesellschafter Dieter Beuermann, hätte schließen müssen, hätte die Endfünfzigerin nicht beherzt zugegriffen. Martina Tittel führt gemeinsam mit Gabriele Conrad und Doreen Nestler sowie mit weiteren freien Mitarbeitern und Praktikanten das Geschäft. Dieter Beuermann bleibt Minderheitsgesellschafter.
„Eine Buchhandlung in heutiger Zeit mag als ein Wagnis erscheinen“, sagt Martina Tittel. Aber wenn die Struktur des Quartiers stimme wie in Friedenau, seien die Voraussetzungen für ein Gelingen gegeben. Diese sind: ganz unterschiedliche Einzelhandelsgeschäfte, Cafés und Restaurants und, sagt Tittel, „am besten noch ein Wochenmarkt, der zwei- bis dreimal in der Woche stattfindet“.
Seit der Übernahme vor drei Jahren haben Martina Tittel und ihr Team einiges verändert. So hat der Kiez jetzt im Geschäft ein „eigenes Regalareal“ für Produkte aus oder über Friedenau. Die Nicolaische hat einen Web-Shop eingerichtet, in dem man online Bücher kaufen kann. Und Berlins älteste Buchhandlung ist Veranstaltungsort für Lesungen, Diskussionen, Bildvorträge, Publikumsgespräche und anderes mehr.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.