Roggen fürs Friedensbrot: Seit zehn Jahren wird im Grenzstreifen Getreide angebaut

Ernte im einstigen Todesstreifen. Techniker der Humboldt-Universität mähen das Roggenfeld rund um die Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße. | Foto: Dirk Jericho
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Mitte. Aus einem temporären Kunstprojekt ist mittlerweile eine europäische Friedensinitiative geworden.

Dort, wo jahrzehntelang DDR-Grenzsoldaten patrouillierten und auf Republikflüchtlinge geschossen wurde, im ehemaligen Todesstreifen an der Bernauer Straße, gedeiht seit zehn Jahren Roggen. Das Getreide rund um die nach dem Fall der Mauer auf den Fundamenten der vom DDR-Grenzregime gesprengten Versöhnungskirche errichteten Kapelle der Versöhnung symbolisiert das Leben. Die Idee dazu hatte vor zehn Jahren der Bildhauer und Steinmetz Michael Spengler. Der Kirchenälteste der Versöhnungsgemeinde wollte mit dem Kornfeld das Wachsen, Gedeihen und Vergehen darstellen.

Die erste Aussaat wurde noch per Hand ausgebracht. Doch seit neun Jahren betreuen Landwirtschaftsstudenten der Humboldt-Universität (HU) das 2000 Quadratmeter große Feld und stellen ihre Technik zur Verfügung. Sie helfen bei Aussaat, Pflege und Ernte. Die Studenten nutzen das Roggenfeld für ihre Forschungen, analysieren Bodenproben auf dem Kirchenacker oder berechnen Erträge. Jeden Sommer rücken die Versuchstechniker mit ihrem kleinen Parzellenmähdrescher zur Ernte an. 400 Kilogramm Korn werden es diesmal, schätzt Professor Frank Ellmer von der HU, Leiter des Fachgebietes Acker- und Pflanzenbau. Das ist im Vergleich zu intensiv bewirtschafteten Landwirtschaftsflächen nicht besonders viel. Der Boden im einstigen Grenzstreifen ist nicht sonderlich fruchtbar. „Wir machen keinen Pflanzenschutz, düngen nur mit ein wenig Stickstoff“, sagt Ellmer.

Aber bei dem Projekt geht es auch nicht um die maximale Ausbeute. Das Roggenfeld um die Versöhnungskapelle ist mittlerweile Teil eines europaweiten Friedensprojektes. Ackerbau-Professor Frank Ellmer ist Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Friedensbrot, der 2012 gegründet wurde. In zehn weiteren Ländern Mittel- und Südeuropas, die nach 1989 der Europäischen Union beigetreten sind, werden mittlerweile an symbolträchtigen Orten des Kalten Krieges die Äcker bestellt. Es geht um die Erinnerung an den Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und um die Möglichkeiten für einen neuen Frieden. Friedenssicherung und nachhaltige Landwirtschaft stehen dabei laut Initiative in einem engen Zusammenhang. Alle Mitgliedsländer des Friedensbrot-Vereins schicken jedes Jahr zehn Kilogramm in das Land, in dem die jährliche Friedensbrotkonferenz stattfindet. In diesem Jahr wird der Berliner Roggen in Polen mit dem der anderen Länder gemischt, gemahlen und zu einem gemeinsamen Friedensbrot verbacken. Das erste gemeinsame Friedensbrot wurde zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im November 2014 in Berlin gebacken und von hunderten Besuchern eines ökumenischen Erntedank-Gottesdienstes in der Kapelle der Versöhnung verkostet.

Den mit knapp 400 Kilogramm größten Teil der Roggenernte bringen die HU-Studenten auch diesmal zurück zur Versöhnungsgemeinde, nachdem sie die Körner gereinigt haben. Ein Biobäcker verarbeitet das Getreide zu Brot oder Oblaten für die Feier des Abendmahls. Besucher können auch kleine Leinensäcke mit dem symbolträchtigen Korn gegen eine Spende in der Kapelle der Versöhnung bekommen. DJ

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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