Riza Baran kam vor 50 Jahren nach Deutschland

Mit diesem Pass hat alles begonnen. Riza Baran zeigt seinen Ausweis aus dem Jahr 1963. | Foto: Frey
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Kreuzberg. Der Pass ist voll von Stempeln. Viele markieren die regelmäßige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Der allererste vom 18. März 1963 steht allerdings für das Ausreisevisum aus der Türkei. Zwei Tage später folgte die Einreise-Signatur. Riza Baran war in Deutschland angekommen.

Dass er für immer bleiben werde sei damals überhaupt nicht geplant gewesen, sagt der 70-Jährige im Rückblick. "Ich wollte hier studieren und nach meinem Abschluss als Bauingenieur wieder zurück in die Türkei." Es kam anders, weil der Mann kurdischer Herkunft privat und beruflich als Lehrer Wurzeln schlug. Und weil er hier eine Aufgabe sah. Zunächst als Sprachrohr und Interessenvertreter für die zu Beginn noch überschaubare Zahl an Zuwanderern. Daraus ergaben sich weitere Ämter und Verpflichtungen. Als Dolmetscher bei der Gewerkschaft, in verschiedenen Vereinen, schließlich in der Politik.

Gut 30 Jahre ist es her, dass Riza Baran Mitglied der Alternativen Liste, den heutigen Grünen wurde. Seit 1991 deutscher Staatsbürger kandidierte er ein Jahr später auf der Liste seiner Partei für die BVV. Drei Jahre war er dort zunächst Mitglied, danach saß er bis 1999 im Berliner Abgeordnetenhaus. Seinen Wahlkreis in SO 36 hat Baran damals als erster Grüner direkt gewonnen. Höhepunkt seiner politischen Karriere waren die Jahre 2001 bis 2006. In der ersten Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg hatte er das Amt des Vorstehers und war damit protokollarisch der erste Mann im neuen Fusionsbezirk.

Aber wie wurde aus dem jungen Einwanderer vom Frühjahr 1963 der Netzwerker, Multifunktionär und Kümmerer der folgenden Jahrzehnte? Neben den Zeitumständen war es vor allem eine Eigenschaft, die Riza Baran mit den Worten umschreibt "Ich suche überall das Gespräch." Zunächst als Student in München versuchte er auch auf diese Weise schnell deutsch zu lernen. Schon dort, später in Hannover, wo er die Universität abschloss, war er Mitglied und Gründer von Migrantenvereinen. Erst recht passierte das in Berlin, exakt in Kreuzberg, wo er 1970 landete.

Integration und Teilhabe waren deshalb für ihn immer mehr als nur Schlagworte. "Man muss konkret etwas machen und nicht nur blabla", so sein Motto. "Schon in den 1970er Jahren haben wir hier Sprachkurse angeboten. Erst mehr als zwei Jahrzehnte später sind die obligatorisch geworden." Nicht nur solche Versäumnisse hätten in der Vergangenheit manches im Zusammenleben von Einheimischen und Zuwanderern erschwert. "Ich war schon damals der Meinung, dass viele der sogenannten Gastarbeiter hier bleiben werden, auch wenn sie sich das vielleicht anders vorgestellt haben." Als Erklärung für diese These verwies er auf seinen eigenen Lebensweg.

Gleichzeitig wurde Riza Baran ein Sprachrohr der kurdischen Volksgruppe. Dass sich gerade in diesen Tagen zumindest die Hoffnung auf ein friedliches Ende des seit Generationen andauernden blutigen Konflikts zwischen Türken und Kurden abzeichnet, daran hat er von Deutschland aus seinen kleinen Teil beigetragen.

Dabei ging sein Eintreten weit über die Anerkennung für Menschen aus anderen Herkunftsländern hinaus. Als Vorsteher im Bezirksparlament brachte er beispielsweise die Senioren-BVV auf den Weg. Ein Mal im Jahr muss sich seither das Bezirksamt den Fragen, Anregungen und Kritiken der Senioren stellen und entsprechende Antworten liefern. Dass er diese Veranstaltung trotz mancher Einwände durchgesetzt hat, darauf ist der 70-Jährige heute noch stolz. Auch sie war ein Beitrag zu seiner Forderung nach einem ständigen Gespräch zwischen Bürgern und Politik.

Nach 50 Jahren in Deutschland sieht sich Riza Baran als Mensch mit zwei Wurzeln. "Ich brachte meine Herkunft mit, habe mich hier ebenso verändert, wie das Land." Er sei trotz mancher Schwierigkeiten privilegiert gewesen. Umso wichtiger sei es gewesen, anderen eine Stimme zu geben.

Das wird er auch in Zukunft machen. Noch immer suchen viele Organisationen und Initiativen seinen Rat. Und wenn er irgendwo ein Problem entdeckt oder ein Anliegen hat, meldet sich Riza Baran zu Wort. "Denn schon vor Jahren habe ich gesagt: Mich werdet ihr so leicht nicht los."

Die Grünen ehren Riza Baran am 15. April mit einem Festakt im Friedrichshain-Kreuzberg-Museum in der Adalbertstraße.

Thomas Frey / tf
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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