Seit 110 Jahren im Weitlingkiez zu Hause
Ursula Kierzek führt das Spirituosengeschäft in dritter Generation
Ein besonderes Jubiläum kann Ursula Kierzek an der Weitlingstraße 17 feiern. Ihr Spirituosengeschäft wurde vor 110 Jahren gegründet und ist nach bisherigen Recherchen damit das wohl älteste Berlins.
„Gegründet wurde der Laden vom Bruder meines Großvaters als Kolonialwarenladen“, berichtet die Inhaberin. „Schon bald übernahm ihn mein Großvater. Als mein Papa Ende der 50er-Jahre folgte, strukturierte er das Sortiment um. Im Kolonialwarenladen gab es früher natürlich auch schon Spirituosen. Aber mein Papa konzentrierte sich vor allem darauf. Hinzu kommen jetzt noch ein paar Süßwaren und Biere, aber als Geschenkartikel.“
Das Geschäft schräg gegenüber vom Bahnhof Lichtenberg entwickelte sich zu einer gefragten Adresse. Natürlich gab es hier auch stets den begehrten Nordhäuser Doppelkorn für 17,60 DDR-Mark. Und Albert Kierzek überzeugte als privater Einzelhändler seine Kunden nicht nur mit seinem Sortiment, sondern auch mit fachkundiger Beratung. Er war mit Leib und Seele Einzelhändler. Bis er mit 96 Jahren verstarb, war er immer noch stundenweise im Geschäft.
Dass Tochter Ursula, Jahrgang 1968, den Laden einmal übernimmt, hatte sie allerdings nicht vorgesehen. Während andere Inhaber familiengeführter Betriebe in zweiter oder dritter Generation berichten, dass sie sozusagen im Laden ihrer Eltern aufwuchsen, kann sie das nicht von sich behaupten. „Es war ja ein Spirituosenladen. Da hatte ich als Kind gar nichts zu suchen. Ich war zwar ab und an mal Papa besuchen. Aber vom Geschäft bekam ich nicht viel mit“, erzählt Ursula Kierzek.
Die junge Frau absolvierte eine Einzelhandelslehre im damals bekannten Ost-Berliner Delikat-Laden an der Leipziger Straße. „Ich wollte eigentlich nicht in den Laden meines Papas“, erinnert sie sich. „Aber er sagte: Versuche es einfach mal ein paar Wochen. Wenn das nichts für dich ist, findest du woanders eine Anstellung.“ Das war 1989. Die Tochter blieb. Sie lernte viel vom Vater. Vor allen Dingen, wie man in der Marktwirtschaft klarkommt.
„Mein Vater hatte mir schon früh klar gemacht, dass es noch etwas anderes als den Sozialismus gibt“, sagt Ursula Kierzek. „Und so lernte ich von ihm zum Beispiel rasch, wie man Preise kalkuliert und unter den neuen Bedingungen klar kommt.“ So boten die Kierzeks schnell an, was man im Osten Berlins vorher kaum kannte: Die Kunden konnten Weine und Spirituosen probieren, ehe sie kauften. Hinzu kam eine noch bessere fachliche Beratung. „Dafür haben wir uns immer wieder weitergebildet“, erinnert sich die Geschäftsinhaberin. So vorbereitet, übernahm Ursula Kierzek 1993 das Geschäft an der Weitlingstraße. Mit dem Haus ist die Familiengeschichte der Kierzeks übrigens auf vielfältige Weise verbunden. Dort, wo die Inhaberin ihr Büro hat, befand sich einst das Wohnzimmer ihres Großvaters. „Hier kam mein Papa an einem Sonntag 1923 zur Welt“, berichtet sie. „Und hier starb 1974 auch mein Großvater.“
Nachdem sie die Leitung übernommen hatte, baute Ursula Kierzek immer wieder um. Wie beliebt das Geschäft ist, merkte Ursula Kierzek auch im Lockdown im Frühjahr. „Wir haben in der Zeit groß im Keller aufgeräumt, gemalert und im Laden umstrukturiert. Die Tür stand offen. Und die Leute kamen an die Tür und kauften. Da merkte ich, dass wir in diesem Lichtenberger Kiez zusammenhalten.“
Eigentlich könnte man meinen, dass 110 Jahre ein Grund zum Feiern sind. Aber mit Blick auf die Pandemie hatte Ursula Kierzek anders entschieden. "Wir feiern im Herbst 2021. Dann besteht das Geschäft 111 Jahre. Das ist eine Schnapszahl und das passt viel besser zu uns“, sagt sie und lacht.
Weitere Informationen auf www.kierzek-berlin.de.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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