Lieblingsort Lederhandschuh: Merlin plaudert aus dem Leben einer Therapie-Eule
War das ein großes Hallo neulich im Seniorentreff „Goldies & Friends“. Alle rissen ihre Handys hoch, um mich und meine Freundinnen und Freunde zu fotografieren. Viele Ahs und Ohs. Staunen pur.
Kein Wunder, ich bin eine Rarität, mein Blick kann euch wahrlich umhauen. Fast ist es meinem Herrchen und Ziehvater Achim Häfner etwas zu toll geworden. Wie gut, dass ich die Ruhe selbst bin, auf meinem Lieblingsplatz, einem ledernen Handschuh.
Ich habe vergessen mich vorzustellen. Gestatten, mein Name ist Merlin. Ja, Merlin, wie der olle Zauberer aus der Artussage. Er soll alles Gegenwärtige und Zukünftige wissen. Und behaart sei er geboren worden, heißt es. Ich bin nicht behaart. Ich trage ein schönes seidiges Federkleid. Klug und weise bin ich aber auch, wie dieser Merlin aus der Sage. Wir können in die Seele der Menschen schauen, sagt Achim. Wir erkennen, ob jemand nervös oder gar krank ist.
Ach, ich vergaß: Ich bin eine afrikanische Weißgesichteule – und eine Therapie-Eule. Wegen unserer Eigenschaften hat Achim Häfner uns Greifvögel zu Therapeuten ausgebildet. Wir sind die einzigen in Deutschland, die so etwas machen. Achim glaubt, wir haben eine besondere Energie.
Wir fahren in viele Städte, wo wir Kitas, Grundschulen, Altenheime, Behinderteneinrichtungen, Hospize oder Senioreneinrichtungen wie jene von Renate Macartney in der Moabiter Ottostraße 5 besuchen. Lampenfieber kennen wir nicht. Wir sind Publikum gewöhnt, seitdem uns Achim Häfner zu sich genommen hat, kaum dass wir aus dem Ei geschlüpft waren. Ich muss noch erklären, wer „wir“ sind: 35 Vögel – vom Steinkauz bis zum Gänsegeier – aus Neustadt an der Weinstraße. Diesmal sind nur die Schleiereulen Asterix und Obelix, die Waldkauzdame Luna, Bambam, der bolivianische Chaco-Waldkauz, Brillenkäuzin Lilly und ich nach Moabit gekommen. Unseren Jüngsten darf ich nicht vergessen, Zwergohreule Max. Max ist erst vier Monate alt, ein richtiger Grünschnabel.
Insgesamt zehn Tage sind wir in Berlin. Recht bequem sind wir mit unserem Falkner Achim Häfner im Transporter aus Rheinland-Pfalz angereist. Auf Baumstammstücken sitzend geht das schneller als Fliegen. Wir übernachten auf einem Campingplatz. Die Jüngeren von uns schlafen bei Achim im Wohnwagen, die Großen im Lieferwagen.
Also die älteren Herrschaften bei „Goldies & Friends“ waren ganz aus dem Häuschen. Klar! Wann hat man schon die Chance, eine Eule auf der Hand zu halten und zu streicheln? Nur die Hand im Falknerhandschuh, mein Lieblingsort, darf sich nie drehen. Sonst werden wir nervös und fangen an zu flattern. Genug geplaudert. Zum Schluss noch eins: Ich will eine Moabiter Kiezpersönlichkeit und vom Kiez-Kompass angepeilt werden. Deswegen sind meine Freunde und ich im Januar wieder in der Hauptstadt.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.