Mathilde Jacob – Jüdin, Sozialistin und unbekannte Frau in der Geschichte der Arbeiterbewegung

Mathilde Jacob (1873-1943) | Foto: KEN

Am Weltfrauentag hat die SPD Moabit-Nord mit einer Kranzniederlegung vor dem Rathaus Tiergarten an Mathilde Jacob gedacht. Es ist der Geburtstag der Genossin, der Moabiterin, an die die Sozialdemokraten aus dem Moabiter Norden jedes Jahr gerne und mit Stolz erinnern. Aber wer war eigentlich diese Frau, nach der der Rathausvorplatz seit Anfang 1997 benannt ist?

Noch 1980 sprach der japanische Germanist und Historiker Nahiriko Ito von einer in der Geschichte der Arbeiterbewegung fast unbekannten Frau.

Mathilde Jacob wurde als ältestes von insgesamt acht Kindern des jüdischen Fleischermeisters Julius Jacob und seiner Frau Emilie am 8. März 1873 in Berlin geboren. Bis heute weiß man nichts über ihre Kindheit, Jugend und die ersten Jahre als Erwachsene. Nur soviel sei überliefert, so Silvija Kavčič, Leiterin der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin beim Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin: Mathilde Jacob, die unverheiratet blieb, habe 1907 als 34-Jährige ein kleines Büro für Schreib-, Vervielfältigungs- und Übersetzungsarbeiten eröffnet. Sie hatte Schriftsteller, Journalisten und bald auch Politiker aus sozialistischen Kreisen als Kunden und ab Dezember 1913 Rosa Luxemburg.

Im Gartenhaus, zweiter Stock, in der Altonaer Straße 11, wo Mathilde Jacob mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Gretchen wohnte und wo sie ihr Büro betrieb, wurde die „Sozialdemokratische Korrespondenz“ geschrieben und vervielfältigt. Mathilde Jacob war für die technische Herstellung und den Versand zuständig. Die „Korrespondenz“ war ein Artikeldienst der deutschen Linken. Die Beiträge wurden in der Hauptsache von Julius Marchlewski, Rosa Luxemburg und Franz Mehring geschrieben. Sie waren auch die Herausgeber.

Schon als Rosa Luxemburg zum ersten Mal in Jacobs Büro kam, machte sie auf die damals 40-Jährige „sofort einen tiefen Eindruck“. „Bewundernd blickte ich zu dieser Geistesgröße auf, die beinahe dürftig gekleidet war.“ Es sollte eine für Mathilde Jacob Leben entscheidende Begegnung sein.

Enge Freundin von Rosa Luxemburg

Aus der Geschäftsbeziehung, Jacob arbeitete bald als Luxemburgs Privatsekretärin, wurde eine innige Freundschaft. Während der Zuchthausstrafen, die Rosa Luxemburg von Anfang 1915 bis 8. November 1918 in verschiedenen Gefängnissen verbüßte, besuchte Mathilde Jacob sie in regelmäßigen Abständen, versorgte sie mit allem Notwendigen – Mathilde Jacobs Mutter kochte sogar für die gesundheitlich angeschlagene Revolutionärin –, schmuggelte Briefe und Schriften in das und aus dem Gefängnis heraus und führte eine lebhafte Korrespondenz mit ihr.

Selbst noch nach dem gewaltsamen Tod der Freundin war Mathilde Jacob ihr „guter Engel“, wie der Publizist Charles Schüddekopf in einem fiktiven Gespräch mit Jacob schreibt. Sie identifizierte die Leiche Rosa Luxemburgs anhand von Kleiderresten, der Handschuhe und einem Medaillon und kämpfte für die Freigabe der Leiche und ihre Beisetzung.

Silvija Kavčič über Mathilde Jacobs weiteren Lebensweg nach ihrer aktiven Unterstützung des revolutionären Umsturzes in Deutschland 1918 und als Gründungsmitglied der KPD: Sie trug die Verantwortung für die Finanzen der noch jungen Kommunistischen Partei und hütete Rosa Luxemburgs Nachlass. Mindestens einmal, für zwei Monate, war auch Mathilde Jacob inhaftiert.

1921 trat Mathilde Jacob aus der KPD aus, weil sie für den „demokratischen Sozialismus“ eintrat; im Jahr darauf wurde sie Mitglied der SPD. Sie betrieb weiterhin ihr Schreibbüro. Silvija Kavčič mutmaßt, dass Mathilde Jacob seit den frühen Dreißigern politisch nicht mehr aktiv gewesen ist.

Deportation nach Theresienstadt

Ob sie in der Nazizeit Kontakt zu Widerstandskreisen hielt, ist ungeklärt. Es gelang ihr aber auf konspirative Weise, 1939 den größten Teil des Rosa-Luxemburg-Nachlasses in die USA verbringen zu lassen. Alle ihre Bemühungen, in die Staaten ausreisen zu dürfen, scheiterten jedoch. Am 27. Juli 1942 wurde Mathilde Jacob mit dem „30. Alterstransport“ von Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 14. April 1943 im Alter von 70 Jahren umkam. Vor ihrem letzten Wohnort in der Altonaer Straße 26 liegt seit sieben Jahren ein Stolperstein für „die ruhige Person im Hintergrund“, wie der Vorsitzende der SPD Moabit-Nord, Samuel Beuttler-Bohn, über Mathilde Jacob sagte.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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