Ernst nehmen, zuhören und mitgestalten lassen
Der Verein Tempelhofer Berg wird für die Arbeit mit Flüchtlingen geehrt

Nehmen sich neben ihren Berufen Zeit für zivilgesellschaftliche Arbeit: Rolf Peinert (links) ist Meeresbiologe, Wilfried Buettner Arzt. | Foto: Schilp
  • Nehmen sich neben ihren Berufen Zeit für zivilgesellschaftliche Arbeit: Rolf Peinert (links) ist Meeresbiologe, Wilfried Buettner Arzt.
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Der Verein Tempelhofer Berg hat den Integrationspreis des Bezirks gewonnen. Gegründet wurde er vor ein paar Jahren von Kleingärtnern der gleichnamigen Kolonie am Südrand des Tempelhofer Felds – direkt gegenüber vom S-Bahnhof.

Der Verein betreibt auf gepachteten Flächen interkulturelle Gärten und stellt dort kostenlos Flächen zur Verfügung. Bürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) lobte besonders den „gleichberechtigten Einbezug von Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung“. Das ist tatsächlich ein vorrangiges Anliegen, wie Wilfried Buettner und Rolf Peinert vom Vorstand bestätigen. Los ging es 2016. In den Hangars des alten Flughafens lebten damals viele Hundert Menschen, in „Waben, vollgestopft mit acht Leuten, oft ohne Rücksicht auf ihre unterschiedliche Herkunft. Es war heiß, stickig, es gab keine Privatsphäre, keine Aufenthaltsmöglichkeit“, wie sich Rolf Peinert erinnert.

Der Verein wollte erstmal etwas für Frauen mit Kindern tun. Buettner stellte seine Parzelle zum Gärtnern und Zusammensein zur Verfügung. Man lud die Frauen ein. Frauen vom Verein holten sie ab und begleiteten sie wieder in ihre Notquartiere. „Einige kehrten, nachdem sie die schlimmen Verhältnisse gesehen hatten, weinend zurück“, sagt er. Besser wurde es, als die Tempohomes auf dem Tempelhofer Feld Ende 2017 bezogen werden konnten. Der Verein half, Hochbeete anzulegen und war mit Ansprechpartnern vor Ort. Natürlich war auch ihre Kleingartenanlage weiter offen für alle Menschen, auch für jene, die mit Gärtnern nichts am Hut hatten. Einen Ort zu haben, an dem man willkommen ist, sei enorm wichtig, sagen die beiden. Ruhe finden, sich unter einen Baum legen, entspannen.

„Wir haben schnell gemerkt: Gärtnern ist gut und schön, aber womöglich brennt es ganz woanders“, so Buettner. Da wurden einem jungen Mann Handyverträge aufgeschwatzt, die er nicht mehr loswurde, ein anderer kam mit einem Schreiben der Behörde nicht klar. Der Verein eröffnete ein „Sprachcafé“, half bei Schularbeiten und, und, und. „Je bekannter unser Angebot wurde, desto höher wurde der Bedarf. Wir haben gesehen: Wir sind fähig, die Menschen individuell zu betreuen und dann wollten wir das auch machen. Sie ernst nehmen, zuhören, sie mitgestalten lassen – Ämter können das nicht leisten. Das ist Aufgabe der Zivilgesellschaft“, sagt Buettner.

Andererseits hätten sie schnell gemerkt, dass sie Gefahr liefen, auf Kosten der Flüchtlinge zu lernen, ergänzt Peinert. „Also wollten wir wissen: Wie gehe ich überhaupt mit Traumatisierten um? Wie bleibe ich selbst motiviert?“ Folgerichtig standen Fortbildungen auf dem Programm, etwa bei der Landeszentrale für politische Bildung.Der Verein hat viel auf die Beine gestellt. Im östlichen Zipfel hinter der Kleingartenanlage pachtete er ein Grundstück, das mit Geflüchteten bewirtschaftet wird. Direkt am Tempelhofer Damm hat der er ebenfalls eine Parzelle übernommen. Hier baut er die Laube zum Informations- und Veranstaltungsort um – offen für alle. Es kann gegärtnert, geerntet und geimkert werden. Wer mag, macht es sich im Liegestuhl bequem. „Wichtig ist allein, dass die Menschen, die kommen, sich als Teil unserer Gemeinschaft fühlen“, so Buettner.

Das Tempohome wurde Ende 2019 leergezogen, eine Tragödie, finden die Vereinsmitglieder. Das Zusammenleben sei dort gut gelaufen, die Betreibergesellschaft Tamaja habe sich bestens gekümmert. „Auch die Security-Leute waren wunderbar“, erzählt Buettner. Aber weil Tempohomes nur auf Zeit angelegt waren, wurden die Bewohner über die ganze Stadt verteilt – von einem Tag auf den anderen. Viele Kontakte wurden gekappt.

Inzwischen ist der Verein aber auch an anderen Orten aktiv. In der Mariendorfer Notunterkunft an der Großbeerenstraße gibt es ein Gartenprojekt und Unterstützung. Und 2020 kam es zu einem echten Glücksfund. Neben der Gemeinschaftsunterkunft an der Collditzstraße, wo die Ehrenamtlichen ebenfalls Angebote aufbauen, liegt der Tempelhofer Antennenberg. Hier, am Teltowkanal, wird seit vielen Jahren Wein angebaut. Der Verein konnte das Gelände pachten. Winzer zu sein, habe er sich immer gewünscht, sagt Buettner.

Und es geht weiter: Ein Projekt für „soziale Landwirtschaft“ ist auf dem Tempelhofer Feld in Planung. Die ersten Fördermittel sind da. Auf einem 2000 Quadratmeter großen Gelände sollen Behinderte, Flüchtlinge und Nachbarn einen Gemeinschaftsgarten beackern. Klar ist, dass das Areal barrierefrei wird. Es muss mit dem Rollstuhl befahrbar sein, Rampen sind nötig, ein Blinden-Leitsystem muss her, genauso wie geräumige Toiletten. „Gemeinwohlorientierte Projekte zahlen auf dem Feld keine Pacht, die Nutzung ist aber im Gegenzug auf fünf Jahre beschränkt“, so Buettner. Er hoffe, dass es auch danach weitergehen kann.

Infos unter www.tempelhofer-berg.berlin

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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