Der Doppelselbstmord
Literarischer Spaziergang zum Kleistgrab mit Kopfhörer und Karte
Nach der Winterpause ist ab April wieder „das akustische Kleist-Denkmal“ zu erleben. Es handelt sich dabei um einen Hörspiel-Parcours.
Mit Audioplayer und Kopfhörern ausgestattet geht es auf einem fiktiven literarischen Spaziergang zum Kleist-Grab. Dabei nähert man sich der Persönlichkeit des Dichters an, der sich und seine Lebensgefährtin Henriette Vogel am 21. November 1811 am Kleinen Wannsee erschoss.
Jeder Besucher erhält eine Karte mit den Orten, an die er sich begeben muss, um die jeweilige Szene auf dem Player zu starten. Im Hörspiel ist eine Führerin mit einer Gruppe Kleist-Interessierter auf dem Weg zum Kleist-Grab. Dabei geht es unter anderem um die Vernehmungsprotokolle zu den beiden Todesfällen oder um die letzten Briefe, in denen Kleists und Vogels Aufträge an die Nachwelt neben seltsam euphorischen Abschieden stehen: „… in dieser Stunde, da sich unsere Seelen sich, wie zwei fröhliche Luftschiffer, über die Welt erheben …“.
Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist, geboren 1777 in Frankfurt/Oder, entstammt einer Familie des pommerschen Uradels. Kleist war beim Militär, studierte unter anderem Mathematik, Physik, Kulturgeschichte, Naturrecht und Latein. Nach dem Abbruch des Studiums arbeitete er im preußischen Wirtschaftsministerium in Berlin. Er reiste in die Schweiz und nach Paris, las Kant und Rousseau, wollte ein bäuerliches Leben führen, in der französischen Armee gegen Frankreich kämpfen. 1802 kehrte er nach Deutschland zurück, ging zwei Jahre später nach Königsberg um wieder als Beamter zu arbeiten, verabschiedete sich dann 1806 endgültig aus dem Staatsdienst und wollte seinen Lebensunterhalt mit seinen Dramen und Schriften verdienen.
Kleists Leben war von Krisen und Identitätssuchen gekennzeichnet. Durch Kants Werk „Kritik der Urteilskraft“, das die Grenzen der Vernunfterkenntnis aufzeigt, sah er seinen rein vernunftorientieren Lebensplan in Frage gestellt. Die Rousseau-Lektüre löste den Wunsch aus, Bauer zu werden – darüber zerbrach die Beziehung zu seiner Verlobten Wilhelmine von Zenge.
Kleists Bühnenwerke reichen von seiner ersten Tragödie „Die Familie Schroffenstein (1803) über das Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ (1806), das historische Ritterschauspiel „Das Käthchen von Heilbronn“ (1808) das Drama „Die Hermannsschlacht“ bis zum Schauspiel „Prinz Friedrich von Homburg“ (1811). Zu den bekanntesten Erzählungen gehören „Michael Kohlhaas“, und „Die Marquise von O …“. Darüber hinaus hat er theoretische Schriften verfasst und die Berliner Abendblätter initiiert. In der täglich erscheinenden Zeitung schrieben unter anderem Ernst Moritz Arndt und Adalbert von Chamisso. Kleist selbst veröffentlichte Abhandlungen, Teile seiner Dramen und aktuelle Polizeiberichte, die besonders beliebt waren.
Geldsorgen und stetige Kritik
So sehr heute Kleists Werk geschätzt wird, so widersprüchlich und oft negativ wurde es zu seinen Lebzeiten aufgenommen. Es gelang ihm nur schwer, Förderer zu finden. Die Aufführung seiner Theaterstücke wurde bis auf wenige Ausnahmen verweigert. Aufgrund von Geldsorgen und der stetigen Kritik an seinen Werken kamen immer öfter die Gedanken an Selbstmord auf.
Am 20. November 1811 mietete er sich mit seiner Freundin Henriette Vogel (geb. 1780), die unheilbar an Krebs erkrankt war, im Wirtshaus „Stimmings Krug“ am Kleinen Wannsee ein. Dort verfassten beide ihre Abschiedsbriefe. Nach außen hin wirkten sie laut Berichten von Augenzeugen gut gelaunt. Vogel schrieb: „Kleist, der mein treuer Gefährte im Tode, wie er im Leben war, sein will, wird meine Überkunft besorgen und sich alsdann selbst erschießen.“ Die letzten Worte Kleists waren an seine Schwester Ulrike gerichtet: „… möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich …“. Am Nachmittag des 21. November begaben sie sich ans Ufer des Kleinen Wannsee, ließen sich Tisch, Stühle und Kaffee bringen. Kurze Zeit später fielen zwei Schüsse.
Damals war ein Begräbnis von Selbstmördern auf einem Friedhof verboten, deshalb begrub man die Leichen an Ort und Stelle. Der Grabstein – es handelt sich nicht um den originalen – unterhalb der Bismarckstraße wurde 1936 aufgestellt und zum 200. Todestag des Paares 2011 restauriert. Darunter steht wieder der während der Zeit des Nationalsozialismus aus ideologischen Gründen entfernte Gedenkspruch des jüdischen Dichters Max Ring: „Er lebte, sang und litt / in trüber, schwerer Zeit. / Er suchte hier den Tod / und fand Unsterblichkeit‘. Matth. 6 V.12“. Die Rückseite des um 180 Grad gedrehten Steins zeigt die vorherige heroisierende Inschrift von 1941 mit der Zeile aus Kleists Prinz von Homburg: „Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein.“
Der rund zweistündige Parcours beginnt an der Ausgabestelle für Kopfhörer und Audioplayer am Souvenirs- und Geschenke-Wagen an der Schiffsanlegestelle am S-Bahnhof Wannsee. Die Ausgabe ist täglich von 10.30 bis 14.30 Uhr möglich und kostet drei Euro (mit Ausweis als Pfand). Reservierungen sind per E-Mail an senol.sinamci@web.de oder unter Telefon 0177/469 39 64 möglich.
Weitere Informationen gibt es auf http://www.hoerspielpark.de/kleistdenkmal
Autor:Ulrike Martin aus Neukölln |
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