Stadtspaziergang
Onkel Toms Hütte entstand als Mikrostadt für 5000 Bewohner

In den 20er-Jahren entstand in Zehlendorf mit Onkel Toms Hütte eine Siedlung mit viel Grün. | Foto: Bernd S. Meyer
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  • In den 20er-Jahren entstand in Zehlendorf mit Onkel Toms Hütte eine Siedlung mit viel Grün.
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Zu meinem 209. monatlichen Spaziergang lade ich nach Zehlendorf Waldsiedlung ein: Onkel Toms Hütte. Die Argentinische Allee ist die wichtigste Verkehrsstraße der Gegend, parallel zur U-Bahn-Strecke U3. Die Nordseite säumen Birken in Reih und Glied, schon maigrün, gegenüber stehen schlichte märkische Kiefern, beide auch typisch für die kleineren Straßen des Viertels.

Die Fassaden der längs und quer stehenden Dreigeschosser schmücken kräftige Putzfarben, die sich ergänzen, abwechseln und wiederholen. Das Stadtviertel wie aus einem Guss entstand zwischen 1926 und 1931. Wohnblöcke, stets mit Zweieinhalbzimmerwohnungen, und Gruppen von Miet-Reihenhäusern mit dreieinhalb oder viereinhalb Zimmern ergänzen sich zu einer erstaunlich variantenreichen Mikrostadt für mehr als 5000 Bewohner, überall Straßengrün, viele Hausgärten.

Das Stadtviertel entstand zwischen 1926 und 1931. | Foto: Bernd S. Meyer
  • Das Stadtviertel entstand zwischen 1926 und 1931.
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Neues Bauen von Bruno Taut und den Architektenkollegen Hugo Häring und Rudolf Salvisberg, die zwei der Reihenhausgruppen entwarfen. Vor 99 Jahren, am 14. April1924, war der Bauträger, die GEHAG Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-AG gegründet worden, als nach der Inflationszeit mit einem Gesetz zum Lastenausgleich – der „Hauszinssteuer“ – großzügig gemeinnütziger Wohnbau gefördert werden konnte. Berlins späterer Stadtrat Martin Wagner, der darum gekämpft hatte, setzte für Groß-Berlin mit der „Gemeinnützigen“, mehreren Baugenossenschaften, deren Mitglieder ihr Erspartes einbrachten, und auch städtischen Firmen ein umfangreiches Programm durch: Dutzende Siedlungen in alten und neuen Stadtgegenden.

Zehlendorf hätte lieber mehr traditionellen Villenbau gehabt. Schließlich siegte hier großflächig doch der Zeitgeist der Moderne. Aber gleichzeitig und gleich nebenan an der Fischtalstraße baute die konkurrierende GAGFAH mit 17 Architekten die Siedlung Fischtalgrund, im sogenannten Heimatschutz-Stil. Da standen plötzlich den Flachdächern und Farbfassaden von Onkel Toms Hütte Häuser mit Spitzdächern gegenüber, und es begann der berühmte, öffentlich geführte Zehlendorfer Dächerstreit zwischen den Vertretern des Neuen Bauens und den Traditionalisten.

Die Doppelladenstraße im U-Bahnhof Onkel Toms Hütte ist heute ein Unikat. | Foto: Bernd S. Meyer
  • Die Doppelladenstraße im U-Bahnhof Onkel Toms Hütte ist heute ein Unikat.
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Doch die Zeiten blieben nicht so. Nachdem am 2. Mai vor nunmehr 90 Jahren auch die Gewerkschaften verboten worden waren, fanden sich die vorher gemeinnützigen Firmen alsbald im neuen Wirtschaftsimperium der NS-Zwangsorganisation „Deutsche Arbeitsfront“ wieder. Schon im März 1933 war Stadtrat Wagner, der aus Protest aus der Akademie der Künste ausgetreten war, „beurlaubt“ worden. Bruno Taut, Architekt der GEHAG, ging sofort ins Exil. Der maßgeblich an Onkel Toms Hütte beteiligte deutsch-jüdische Bauunternehmer Adolf Sommerfeld wurde bei einer Schießerei vor seinem Haus bedroht und floh, sein Besitz zwei Jahre später „arisiert“.

1945 verfügte die Alliierte Kommandantur, dass einst gemeinnützige Unternehmen nun in städtisches Eigentum übergingen. Vor allem nach 1990 sind dann viele Bestände privatisiert worden. Mancher Bewohner konnte da sein gemietetes Reihenhaus kaufen. Die GEHAG gehört jetzt zum Bestand von „Deutsche Wohnen“. In der Nazizeit hatte man für die Siedlung Onkel Toms Hütte wegen der bunten Fassaden die abfällige Bezeichnung „Papageiensiedlung“ verbreitet. Sie hielt sich lange, bis über die Jahrtausendwende, wurde erst dann vom neuen Bürgerverein des Viertels positiv besetzt. Das erinnert an Tauts erste Siedlung „Am Falkenberg“, um 1915 als „Tuschkastensiedlung“ bespöttelt, lange bevor sie unter diesem Namen in den 60er-Jahren eine frühe Ikone des Neuen Bauens wurde, restauriert, schließlich Teil des Weltkulturerbes „Siedlungen der Berliner Moderne“.

Gedenktafel für Bruno Taut an der Ecke Argentinische Allee und Riemeisterstraße. | Foto: Bernd S. Meyer
  • Gedenktafel für Bruno Taut an der Ecke Argentinische Allee und Riemeisterstraße.
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Denkmalsgerechte Restaurierungen in Onkel Toms Hütte begannen ab 1984. Manche Fassaden-Original-Kalkfarben längst weiß oder braun überstrichen, wurden freigelegt und erneuert. Aus dieser Zeit stammt auch die bronzene Gedenktafel für Bruno Taut an der Ecke Argentinische Allee und Riemeisterstraße. Die Bauleitung des Viertels hatte 1929/30 die 23-jährige Architektur-Werkstudentin Ludmilla Herzenstein, die nach dem Krieg bei Hans Scharoun arbeitete und 1949 die Laubenganghäuser an der Karl-Marx-Allee entwarf. Das neue Milchhäuschen am Weißen See, im Stil des Bauhauses, war 1967 ihr letzter Bau, längst denkmalsgerecht restauriert als beliebtes Ausflugscafé des Nordostens.

„Adolf Sommerfeld Bauausführungen“ war eine Firma, die der gelernte Zimmermann und junge Bauingenieur schon 1910 gegründet hatte. Anfang der 20er-Jahre dirigierte er einen Konzern mit Ziegeleien, Fabriken für Baumaterial, Terraingesellschaften, besaß auch große Flächen auf Zehlendorfer Gebiet. Als Generaldirektor der Häuserbau AG baute er im großen Stil, etwa im Völkerbund-Auftrag Tausende Häuser für griechische Immigranten aus Kleinasien. Er war mit Bauhaus-Gründer Walter Gropius befreundet, finanzierte 1923 das Weimarer „Haus am Horn“ der ersten Bauhaus-Ausstellung. Die Architekten W. Gropius, A. Meyer und F. Forbat entwarfen für ihn und seine Familie das Blockhaus Sommerfeld in Lichterfelde, Limonenstraße. Mit Übernahme der Bauaufträge für die Siedlung Onkel Toms Hütte schenkte Sommerfeld der Stadt Berlin das Areal zur Verlängerung der U-Bahn-Strecke von Thielplatz bis zur Endstation Krumme Lanke und übernahm auch die Baukosten. Jahrelang war gerade mal ein „Solowagen“ auf der heutigen U3 vom Breitenbachplatz bis zur damaligen Endstation Thielplatz gefahren. Ab 1929 strömten die Passagiere in der neuen Station Onkel Toms Hütte über den hellsten U-Bahnsteig Berlins, den nach oben ein Gewächshaus-Glasdach abschließt. Die Doppelladenstraße daneben gilt noch heute als Unikum. 

Der Spaziergang beginnt am Sonnabend, 13. Mai, um 11 Uhr am U-Bahnhof Onkel Toms Hütte, Ausgang Onkel-Tom-Straße, U-Bahn-Linie U3. Die Tour wiederhole ich am Sonnabend, 20. Mai, um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.

Die Führung ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 8. Mai, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.

Autor:

Bernd S. Meyer aus Mitte

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