Eine ganz starke Frau
Marisol Bohlig litt an Leukämie, jetzt hilft sie Leidensgenossen
Marisol Bohlig ist durch die Hölle gegangen. Die junge Frau erkrankte 2014 an Leukämie. Sie hatte Glück, eine der Chemotherapien schlug an und die bösartigen Körperzellen verließen ihren Körper. Geblieben ist das Verlangen, Leidensgenossen zu helfen.
Sie hat sich keine Gedanken über blaue Flecken an den Beinen gemacht. Schließlich passiert so etwas schon mal auf Partys. Auch ihre permanente Müdigkeit beunruhigte sie nicht. „Ich habe schon immer gerne und viel geschlafen“, sagt die heute 25-Jährige. Und dass ihr Gesicht angeschwollen war, führte sie auf ihre Allergie auf Daunenkissen zurück. Vorübergehende Sehstörungen kamen hinzu, Kreislaufprobleme auch und die Lymphknoten schwollen an. Extrem schlapp hatte sie sich dann eines Tages gefühlt. So schlapp, dass sie nicht für einen Musiktest ihrer eben begonnenen Ausbildung zur Erzieherin lernen konnte. Sie ging zum Arzt und als der sie zur Blutuntersuchung ins Klinikum Westend schickte, war sie nur noch genervt. „Ich hielt das für vollkommen übertrieben. Ich wollte doch nur ein Attest“, sagt sie.
Der Schock saß tief
Auf dem Gang des Klinikums hörte sie den Arzt telefonieren, sie müsse ins Vivantes gebracht werden, dorthin, wo die die Blutspezialisten sitzen. Noch immer schwante Marisol nichts Böses. Im Vivantes teilte man ihr dann mit, dass ihre Blutwerte sehr besorgniserregend seien – mehr nicht. „Ich hatte schon Medikamente bekommen und eine Knochenmarkspunktion hinter mir, aber keiner konnte mir sagen, was mir fehlt“, berichtet sie. Als zwei Tage später der Arzt mit ernstem Gesicht einen Stuhl an ihr Bett rückte, Platz nahm und sagte, sie sei schwer erkrankt, da wusste sie es dann. Der Schock saß tief. Alles, was der Arzt ihr danach erklärte, drang nur noch gedämpft an ihr Ohr. Sie rief niemanden an, schrieb ihren Liebsten nur per WhatsApp: „Ich habe Krebs.“
„Ich glaube, ich habe mir von den Reaktionen erhofft, verstehen zu können, was mir gerade gesagt wurde.“ Schnell musste es jedenfalls nun gehen. „Sechs Wochen hat man nach dem Auftreten der Krankheit Zeit für den Eingriff, sonst stirbt man“, erklärt Marisol. „Ich war in der fünften Woche, meine Leber war bereits angegriffen.“
"Das war die härteste Zeit"
Wenn einem Marisol jetzt beim Plausch in einem Café in der Wilmersdorfer Straße gegenübersitzt, dann ist es kaum zu glauben, dass sie vor nicht allzu langer Zeit noch mehrere Runden mit dem Tod im Ring stand. Die Tochter einer nicaraguanischen Mutter und eines deutschen Vaters sieht blendend aus, sie lacht viel und aus ihren Augen blitzt die Lebenslust. Keine Spuren von Überlebenskampf, obwohl der abartig hart war. Chemo- und Strahlentherapie setzten ihr zu, das Immunsystem war nicht mehr existent und die Liste der Krankheiten, die sie zusätzlich ertragen musste, war ellenlang: Stammhirnentzündung, hohes Fieber, Halluzinationen – um nur wenige Beispiele zu nennen. „Ich habe im Sommer 2015 nur noch an die Decke der Intensivstation gestarrt und kann mich an zwei Nächte erinnern, in denen ich nicht einschlafen wollte aus Angst, ich würde nicht mehr aufwachen. Das war die härteste Zeit.“
Aktion „Mari sucht Held“
Dass sie den Kampf gewonnen hat, war Glück im Unglück. Wegen ihrer genetischen Voraussetzungen ist die Wahrscheinlichkeit noch geringer als gewöhnlich, einen passenden Stammzellenspender zu finden. Doch plötzlich und unerwartet erholte sich ihr Blut – ihr ging es besser und besser. Für den schlimmsten Fall, dass der Blutkrebs zurückkommt, will sie immer sagen können: "Ich habe alles probiert." Sie hat sich deshalb für Typisierungsaktionen egangiert und dabei gemerkt, dass sie damit auch anderen hilft. "Beides waren und sind beste Gründe, mich weiter stark zu machen. Das, was ich durchgemacht habe, muss doch einen Sinn gehabt haben", sagt Marisol. Mit Hilfe der Karstadt-Filiale Charlottenburg, in Person des Filialgeschäftsführers Torsten Dunkelmann, rief sie die Aktion „Mari sucht Held“ ins Leben, stellte eine Facebookseite ins Netz. Um bei einer ihrer Typisierungsaktionen dabei zu sein, verschob sie sogar eine Chemotherapie. Über die sozialen Medien schrieb sie Prominente mit der Bitte um Unterstützung an. Mit Erfolg. „Jimi Blue Ochsenknecht klingelte eines Tages bei mir an der Tür, mit einem Kamerateam im Schlepptau.“ In der Folge flimmerte die junge, starke Frau aus Charlottenburg mit ihrem Anliegen bei einigen Fernsehauftritten über die heimischen Bildschirme. Die gemeinsamen Aktionen mit dem Verein für Knochenmark- und Stammzellspenden (VKS) machten den Vorstandsvorsitzenden Dietger Niederwieser, Leiter der Abteilung Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Leipzig, auf Marisol aufmerksam. „Er will mich jetzt im Team für den Aufbau eines VKS-Stützpunktes in Berlin haben, weil ich etwas bewege. Das ist eine große Ehre für mich.“
Seit einem Jahr ist Marisol Bohlig jetzt „chemofrei“. Ein gutes Zeichen. Alle halbe Jahr muss sie zur Nachuntersuchung. Ihre wiedergewonnene Freiheit feiert sie. „Ich reise gerne, gehe gerne auf Festivals, erlebe gerne neue Dinge. Das hole ich gerade ganz dolle nach“, sagt sie. Reifer habe sie die Krankheit gemacht, sagt sie. Und sie ist allen unendlich dankbar, die ihr geholfen haben. Allen voran ihren Eltern. „Meine Mutter war rund um die Uhr bei mir, hat neben mir im Gartenliegestuhl geschlafen. Und mein Vater hat sich in die Thematik eingearbeitet, ist fast ein Arzt jetzt“, sagt sie und lacht.
Nächste Aktion am 15. August
Die nächsten Aktionen sind bereits geplant. In Kooperation mit dem Chefarzt der Berliner Polizei und mit der Hilfe von Torsten Dunkelmann sollen sich Polizei-Azubis im Herbst typisieren lassen. Ganz aktuell ist die von ihr initiierte Aktion unter dem Mantel der VKS am Mittwoch, 15. August, an der East Side Gallery. Ab 18 Uhr soll sich unter dem Motto „Ein Stäbchen, das verbindet“ eine Menschenkette bilden, die symbolisch die Wattestäbchen weitergibt, wie sie bei der Typisierung und Registrierung von Spendern verwendet werden. Marisol ist dabei, um aus der Sicht einer Betroffenen zu erzählen und die Menschen zu ermutigen, sich in die Spenderdatei aufnehmen zu lassen. „Es ist relativ einfach, Leben zu retten. In den meisten Fällen werden die Stammzellen, ähnlich wie bei einer Dialyse, aus dem Blut gefiltert und der Spender bekommt sein Blut wieder. Nach der Spende fehlt es ihm an nichts, es gibt kein Risiko. Seltener ist die Entnahme aus dem Knochenmark."
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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