Rückkehr zum Richtfest: Familie Hirschmann und das Freudenberg-Areal
Friedrichshain. Tomas S. Hirschmann hält seine Rede auf deutsch. Die Sprache hätten ihm seine Eltern beigebracht, erzählt er. Wenn er sie in diesem Moment benutzt, will der 79-Jährige damit auch unterstreichen, dass er zu den Wurzeln seiner Familie zurückgekehrt ist.
Tomas S. Hirschmann, seine Ehefrau, Kinder und Enkel waren am 24. April die Ehrengäste beim Richtfest des Bauprojekt "Box Seven" auf dem ehemaligen Freudenberg-Areal. Seinen Vorfahren gehörte einst dieses 26 000 Quadratmeter große Grundstück zwischen Boxhagener und Weserstraße. Jetzt entstehen dort 640 Wohnungen, dazu Büro- und Gewerbeflächen, eine Kita sowie ein öffentlicher Park. Das neue und vor allem unter der benachbarten Bevölkerung nicht unumstrittene Stadtquartier errichtet die Firma Bauwert Aktiengesellschaft. Deren Chefs Jürgen Leibfried und Michael Staudinger hörten deshalb wahrscheinlich gerne, was ihnen Tomas S. Hirschmann mitzuteilen hatte. "Mein Großvater", so meinte der, "hätte sich über die vielen Wohnungen, gerade auch für Familien, gefreut."
Sein Großvater hieß Siegfried Hirschmann und hatte auf dem Grundstück 1895 die "Deutschen Kabelwerke" abgesiedelt. Nicht nur Kabel- und Gummiprodukte wurden in seinem Unternehmen hergestellt, sondern zeitweise auch das Dreirad "Cyclonette". Nach der Machtübernahme der Nazis wurde der Betrieb der jüdischen Familie "arisiert". Siegfried Hirschmann und seine Frau Frieda verließen Deutschland im August 1939. Das Ziel war Guatemala, wohin drei Jahre zuvor ihr Sohn Ernst und Schwiegertochter Lisa, die Eltern von Tomas S. Hirschmann, emigriert waren. Der Sohn kam dort 1938 zur Welt und lebt bis heute in dem mittelamerikanischen Land. Aufgespürt hat ihn dort der SPD-Abgeordneten Sven Heinemann, als der für sein Buchprojekt "Boxhagen beginnt" recherchierte. Für den Verlust ihres einstigen Eigentums waren die Hirschmanns 1999 mit umgerechnet 730 000 Euro entschädigt worden. Eine Rückübertragung des von den Nazis geraubten Besitzes war zuvor vom Gericht abgelehnt worden. Zu DDR-Zeiten war das Gelände in Staatseigentum übergegangen und damit nach der Wende an die Treuhand. Sie verkaufte die Liegenschaft 1992 an die Firma Freudenberg. Als Freudenberg 2011 nach Adlershof zog, erwarb sie die Bauwert.
Deren Richtfest wurde nicht nur wegen des Besuchs der Familie als großes Ereignis aufgezogen. Denn auf dem Areal entsteht das derzeit größte innerstädtische Wohnungsbauvorhaben, wie immer wieder betont wurde. Etwa vom Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). Er strich heraus, dass dort zum ersten Mal realisiert worden sei, was Berlin inzwischen als sogenannte kooperative Baulandentwicklung zum Standard bei Großbauvorhaben machen möchte, nämlich einem Investor Zugeständnisse vor allem in Richtung preisgünstige Wohnungen abzuhandeln. Die städtische Gesellschaft Howoge übernimmt auf dem Areal 125 Wohnungen, von denen 90 gefördert und zu einem Mietpreis um 6,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt angeboten werden. Ebenfalls Teil dieser Abmachung ist der Bau einer Kita mit 90 Plätzen sowie eine 6000 Quadratmeter große öffentliche Grünanlage.
Michael Müller erklärte solche Kooperationen zu einem wichtigen Instrument, damit der Wohnungsbau mit der wachsenden Stadt einigermaßen Schritt halte und das auch im bezahlbaren Segment. "Wir brauchen dazu die kommunalen Wohnungsunternehmen, aber ebenso auch private."
Im Mittelpunkt des Richtfestes standen Zahlen und Fakten: Mehr als 300 Kilometer Rohre und über 500 Kilometer Kabel seien verlegt worden, berichtete unter anderem Jürgen Leibfried. 92 Prozent der Immobilien wären bereits verkauft. Das Investitionsvolumen beträgt 260 Millionen Euro. Beim Bauabablauf gibt es bisher keine Verzögerungen. Im Herbst 2018 soll alles fertig sein.
Durchgehend gab es den Verweis auf die Familie Hirschmann, mit deren Anwesenheit sich der Kreis schließe. Es bleibt aber nicht nur bei warmen Worten, um weiter an diese Vergangenheit zu erinnern. Der zentrale Platz im neuen Quartier wird nach Siegfried Hirschmann heißen. Diese Adresse bekämen auch die Gebäude, die daran angrenzen, machte Jürgen Leibfried deutlich. Das erfreute den Enkel. Der Großvater und andere Vorfahren würden sicher mit Wohlwollen am heutigen Tag auf die Familie schauen, meinte er. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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