Neuer Architekturführer lotst zu bisher kaum bekannten Bau-Schätzen im Bezirk
Lichtenberg. Nur wenige wissen: Moderne Bautechnologie hat ihren Ursprung im Bezirk Lichtenberg. Ein neuer Architekturführer zeigt die schönsten und interessantesten Bauwerke ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert.
Die Wiege der modernen Architektur, das ist klar, liegt in der legendären Kunstschule Bauhaus in Weimar. Doch wären die kühnen Entwürfe der berühmten Architekten wie Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe kaum denkbar ohne die bautechnologischen Errungenschaften ihrer Zeit. Neu entwickelte Baumaterialien wie etwa Zement gaben ihrem Streben nach Form, den sie mit Funktionalität vereinbar machten, die nötigen Freiheiten. Und so bleibt bislang wenig beachtet, dass die Voraussetzungen für die Moderne in der Architektur in Lichtenberg liegen.
Der Bezirk gilt als Labor für die Bauexperimente zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier wurden innovative Materialien ausprobiert, neue Technologien auf den Prüfstand gestellt. Wo diese Pionierleistungen im Bezirk noch heute zu besichtigen sind, das offenbart der neu erschienene Architekturführer.
"Vielen ist gar nicht bewusst, welchen städtebaulichen Stellenwert der Bezirk hat", sagt Thomas Thiele, Leiter des Museums Lichtenberg in der Türrschmidtstraße 24. Eine Ausstellung hatte in diesem Jahr die Ursprünge des industriellen Bauens im Bezirk herausgestellt und für breite Aufmerksamkeit gesorgt: Zum ersten Mal wurde der Fokus auf die deutschlandweite Bedeutung des Bezirks als Architekturlabor gelenkt. Am 19. Oktober erschien nun der von Thomas Thiele, Steffen Maria Strietzel und Dirk Moldt herausgegebene Architekturführer "Die moderne Stadt Berlin-Lichtenberg", der an die erfolgreiche Schau anknüpfen soll. Mit dem rund 190 Seiten starken Taschenbüchlein können Architekturinteressierte sich jetzt selbst auf eine Entdeckungsreise begeben und Wissenslücken schließen.
Unterteilt in elf Kategorien – von Reform- über Industrie- und Militär- zu bis hin Sportbauten sowie industriellem Wohnungsbau – lassen sich den informativen Texten die wichtigsten Fakten über die 99 Bauwerke entnehmen. Insgesamt 17 Autoren haben ihre Expertise beigesteuert: Darunter sind etwa Bruno Flierl, der einstige Chefarchitekt von Ost-Berlin, aber auch der Sporthistoriker Christian Wolter oder die Studenten der Beuth Hochschule für Technik in Berlin, Meike Besser und Jana Müller, die sich bei ihren Recherchen in die Archive begaben.
Die Autoren zeigen, wo der Schlüssel um die Rätsel der Architekturmoderne im Bezirk zu finden sind. Beispielsweise in der Dönhoffstraße 38: Hier steht das 1901 errichtete "Portland-Cement-Haus", das ehemalige Repräsentationshaus des Vereins Deutscher Portland-Cement-Fabrikanten. Der Verein informierte hier über diesen innovativen Baustoff, allerdings war schon das Haus selbst als Exponat gedacht und errichtet. Heute wird es privat genutzt. Als "Vorboten moderner Bautechnologie" können wiederum die Betonhäuser in der Victoriastadt, etwa in der Spittastraße 25, 28-30 und 40, gelten. Sie wurden schon in den 1870er-Jahren aus Betonschlacke in dem damals aus England mitgebrachten Verfahren errichtet und erstmals in Deutschland ausprobiert.
Diese Pionierleistungen waren es, aus der sich schließlich auch die industriellen Großsiedlungen in West- und Ost-Deutschland entwickelten: So etwa die Gropiusstadt auf der einen Seite, Siedlungen des Wohnbautyps WBS 70 auf der anderen. Nicht zuletzt weist das Büchlein darauf hin, dass im Osten der Stadt Lichtenberg seine Bedeutung als Architekturlabor beibehielt: Ein Vorläufer des Plattenbaus ist im Versuchsbau der DDR-Architekten zur Wohnungsbauserie P 2 in der Erich-Kuttner-Straße 9 noch heute zu besichtigen. KW
Autor:Karolina Wrobel aus Lichtenberg |
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