Jede Frau sollte Radfahren können
Verein „#Bikeygees“ bietet kostenloses Training an

Vor dem Gemeinschaftshaus Lichtenrade gibt es viel Platz zum Üben. | Foto: Philipp Hartmann
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Radwege kennt Taghrid aus ihrer Heimat nicht. Die 29-jährige Syrerin gehört zu den Frauen, die sich alle zwei Wochen auf dem Parkplatz vor dem Gemeinschaftshaus Lichtenrade treffen. Beim Verein „#Bikeygees“ lernen sie das Radfahren.

„Selbstbestimmte Mobilität halte ich für ein Menschenrecht“, sagt Annette Krüger, die den Kreuzberger Verein 2015 gegründet hat. Seitdem hat „#Bikeygees“ laut ihrer Aussage mehr als 800 Frauen aus aller Welt das Radfahren beigebracht. Durch Spenden konnten mehr als 200 Fahrradsets übergeben werden. Der Verein erlangte große Aufmerksamkeit. Unter anderem besuchten eine britische Tageszeitung und ein indisches Fernsehteam die Übungseinheiten. Durch die Förderung der Verkehrslenkung Berlin, über die Annette Krüger sehr dankbar ist, kann der Verein sein Angebot auch in die Außenbezirke bringen.

In Lichtenrade ist „#Bikeygees“ seit Juli aktiv. Antje Geßner, die im Familienzentrum im Gemeinschaftshaus arbeitet und sich während des Trainings um die Kinder der Frauen kümmert, stellte den Kontakt her. Seit einem Jahr betreut sie das Elterncafé der Nahariya-Grundschule. Dort äußerte eine Mutter ihren Herzenswunsch, Radfahren zu lernen. Damit war sie offensichtlich nicht allein, wie auf dem Übungsplatz zu sehen ist. Annette Krüger ist mit drei Trainerinnen und drei Volunteers gekommen, die auch mal als menschliche Stützräder benötigt werden. Mit rosafarbenen Hütchen haben sie einen Slalomparcours aufgestellt, durch den die Frauen fahren und mit den Armen das Abbiegen anzeigen sollen. Ohne Helm darf niemand aufsteigen, eine gewisse Unsicherheit ist bei manchen doch deutlich sichtbar.

Selma (56) ist zum fünften Mal dabei. Seit 1975 lebt die Türkin in Deutschland. Als Kind hat es mit dem Radfahren nicht geklappt. Später habe sie immer gearbeitet und kümmerte sich um ihre Kinder. „Nie hatte ich Zeit, um das zu lernen“, blickt sie zurück. Auf das Angebot des Vereins wurde sie im Vorbeigehen zufällig aufmerksam. „Ich könnte weinen. Darauf habe ich 40 Jahre lang gewartet. Das ist Freiheit, die mir keiner wegnehmen kann.“ Während Taghrid, die als Elfjährige in Syrien mit dem Rad ihres Bruders übte, schon sicher durch den Parcours steuert, schlenkert Amal (34) aus dem Irak noch mit dem Lenker. 20 Jahre lang sei sie nicht mehr mit dem Rad gefahren, berichtet sie. Daher müsse sie noch einmal ganz von vorne anfangen. Damit die Frauen irgendwann nicht mehr nur auf dem leeren Parkplatz fahren dürfen, werden ihnen die Verkehrsregeln vermittelt. Die Theorie kommt jedoch nach der Praxis. „Wir wollen erst einmal das Feuer fürs Radfahren entfachen. Viele Frauen glauben gar nicht, dass sie das überhaupt können. Verkehrssicheres Fahren ist uns aber ein großes Anliegen – für ein gutes Miteinander aller“, so Annette Krüger. In den jeweils zweistündigen Treffen möchte sie in einer Atmosphäre des liebevollen Miteinanders die Lebensrealität der Frauen verbessern. Manchmal sind beim Training sieben Religionen und 20 Nationalitäten gleichzeitig vertreten. Was „#Bikeygees“ auf die Beine stellt, ist somit auch ein völkerverbindendes Angebot.

Kontakt: familienzentrum.lichtenrade@nusz.de oder Telefon 70 17 64 13.

Autor:

Philipp Hartmann aus Köpenick

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