Videoüberwachung soll Verbrechen aufklären

Das Auge im gelben Quadrat zeigt es an: Die BVG überwacht alle U-Bahnhöfe und Waggons mit Kameras. | Foto: Jana Tashina Wörrle
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  • Das Auge im gelben Quadrat zeigt es an: Die BVG überwacht alle U-Bahnhöfe und Waggons mit Kameras.
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Berlin. Mensch oder Maschine? Die Sicherheitskonzepte von S-Bahn und BVG unterscheiden sich stark. Die einen setzen auf Personal, die anderen auf Videokameras. Obwohl die Kriminalitätsrate steigt, fühlen sich viele Berliner im öffentlichen Verkehr dennoch sicher.

Murat S. verkauft Kaffee. Viele Becher am Tag. Dazu belegte Brötchen und Streuselschnecken. Seine Kunden sind die Fahrgäste der Berliner U-Bahn. Jeden Tag von 6 bis 11 Uhr steht er hinter dem Verkauftresen, der sich direkt neben dem Bahnsteig befindet. Von hier aus hat er schon viele Rangeleien mitbekommen. Nichts Ernstes - bis vor zwei Jahren, als er selbst Opfer eines Überfalls wurde. "Die kamen direkt auf mich zu, haben mir gedroht und wollten das Geld aus der Kasse haben", sagt der 35-Jährige. Er zeigt auf die Kamera, die nur wenige Meter von seinem Kiosk entfernt an der Decke hängt. "Obwohl alles aufgenommen wurde, hat die Polizei bis heute die Täter nicht gefunden", erzählt er enttäuscht. Trotzdem fühlt er sich sicherer durch die Kamera. "Das schreckt doch ab", bestätigt er den Eindruck, den auch die Berliner Verkehrbetriebe (BVG) mit ihren großen Hinweisschildern hinterlassen wollen. Ein großes schwarzes Auge auf gelbem Grund weist schon am Eingang der Berliner U-Bahnhöfe darauf hin, dass alles videoüberwacht ist.

"Wir sind ein kontrollierter Ort", sagt Petra Reetz, die Sprecherin der BVG. Seit 2000 haben die Verkehrsbetriebe deshalb Stück für Stück alle U-Bahnen und Bahnhöfe mit Kameras ausgestattet. 10 763 sind es heute. Aus kleinen rechteckigen Metallkästen und Glaskugeln an der Bahndecke beobachten sie die Fahrgäste. Anders als bei Überwachungskameras in Kaufhäusern, gibt es hier aber keine Monitore, vor denen ein BVG-Mitarbeiter sitzt und die Aufnahmen kontrolliert. "Wir zeichnen nur auf, speichern alles 48 Stunden und überspielen es automatisch wieder", erklärt Petra Reetz. Nur wenn es einen Vorfall gab und die Polizei die Aufnahmen anfordert, bekommt sie überhaupt jemand zu sehen. Dann sollen die Videodaten helfen, Verdachtsfälle zu klären und Täter zu finden.

So wurde zum Beispiel am 20. November Haftbefehl gegen zwei mutmaßliche Täter erlassen. Sie sollen Anfang Mai eine russische Touristin in Berlin vergewaltigt haben. Die Männer hatten sich am 19. November der Polizei gestellt, nachdem das Landeskriminalamt Bilder einer Überwachungskamera veröffentlicht hatte. Die Bilder waren kurz nach der Tat im U-Bahnhof Mierendorffplatz in Charlottenburg aufgenommen wurden und zeigen die Männer, wie sie sich unmittelbar nach dem Zeitpunkt der Tat voneinander verabschieden.

Doch was bei den einen ein Gefühl von Sicherheit auslöst, sehen andere als überflüssig an. "Wenn jemand wirklich Hilfe braucht, kann eine Kamera nicht eingreifen", sagt Ulrike Voigt. Die Pfarrerin aus Alt-Tempelhof ist viel mit U- und S-Bahn unterwegs und ärgert sich über Angst einflößende Berichte über U-Bahnschläger oder S-Bahndiebe. "Ich habe mich hier noch nie unsicher gefühlt", sagt sie, während sie am S-Bahnhof Tempelhof auf die Bahn wartet. Die Kameras erzeugen aus ihrer Sicht ein falsches Gefühl von Sicherheit.

Die Statistik gibt ihr Recht, denn gesunken sind die Kriminalitätsraten im öffentlichen Nahverkehr nicht, seit es die Videokameras in den U-Bahnen gibt. 2011 registrierte die Berliner Polizei 25 182 Straftaten in U-Bahn, Bus, Tram und S-Bahn. Eine Steigerung von 9,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Um etwas dagegen zu unternehmen, setzt die Deutsche Bahn als Eigentümerin der S-Bahn, anders als die BVG, bislang nicht auf Kameras. Sie möchte durch den verstärkten Einsatz von Personal auf den Bahnhöfen und in den Zügen für Sicherheit sorgen und hat dazu rund 1000 Service- und Sicherheitskräfte angestellt. Nur knapp über 50 Videoanlagen sind im Rahmen von Pilotversuchen an Bahnsteigen installiert. "Wir müssen versuchen, Straftaten zu verhindern und nicht erst dann handeln, wenn alles schon passiert ist", sagt Ingo Priegnitz von der S-Bahn Berlin. Zwar gebe es konkrete Forderungen, die Videoüberwachung auszubauen, doch dem stehen momentan der Betriebsrat der S-Bahn und die Landesregierung entgegen. "Die Bahn wäre bereit aufzurüsten, aber der Senat müsste zahlen" sagt Priegnitz. Seiner Meinung nach kann die Situation aber nur dann verbessert werden, wenn sich alle gemeinsam für die Sicherheit im öffentlichen Raum zuständig fühlen - nicht nur die staatlichen Stellen. "Zivilcourage" ist das Stichwort. Kameras können keine Straftaten verhindern, sondern nur versuchen, sie aufzuklären. Aber auch die Sicherheitskräfte können nicht immer und überall sein.

Die Situation, völlig allein auf einem Bahnsteig warten zu müssen, kennt wohl jeder - gerade im Winter, wenn es früh dunkel wird, oder nachts. Dann sind U-Bahntunnel besonders gruselig und S-Bahnhöfe haben Tausend Ecken, hinter denen vermeintliche Verbrecher lauern. Dann sind Schritte auf dem Fliesenboden bedrohend laut und die Zeit bis zum Eintreffen des Zugs fühlt sich an wie eine Ewigkeit.

Rund eine Milliarde Fahrgäste zählt der öffentliche Nahverkehr in Berlin jedes Jahr - und die kommen zumeist sicher ans Ziel. "Ich fühle mich sicher, weil ich selbst noch nie etwas Gefährliches in der Bahn erlebt habe", sagt Barbara Siebert, die täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. "Ich fahre auch nachts allein", ergänzt die Mittfünfzigerin, während sie am Bahnhof Ostkreuz hin- und hergeht und auf die S 41 wartet. Es ist kalt und der Wind zieht durch die neue große Halle. Die Kameras in den U-Bahnen sind ihr egal, sagt sie selbstsicher und verschwindet schnell in der warmen S-Bahn, als diese hält. Sicherheit ist eben auch ein subjektives Gefühl - vor allem geprägt von Erfahrungen.

Mulmige Gefühle in Bus und Bahn

Berliner fühlen sich im öffentlichen Nahverkehr nicht sicher

Videokameras und Sicherheitspersonal helfen nicht gegen die große Verunsicherung unserer Leser bezüglich der Sicherheit in U- und S-Bahn, Bus und Tram. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) setzen auf eine flächendeckende Videoüberwachung in Bahnhöfen und Fahrzeugen. Die S-Bahn Berlin hat bislang keine Kameras installiert, sie möchte mit verstärktem Personaleinsatz für Sicherheit sorgen. Doch trotz dieser Maßnahmen sind die Berliner verunsichert durch die Straftaten im öffentlichen Nahverkehr, die immer wieder öffentlich werden. So antworteten 85 Prozent der Leser unserer letzten Reportage auf die Frage "Fühlen Sie sich im Berliner Nahverkehr sicher?" mit Nein. Nur 15 Prozent stimmten dem zu.Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport begegnet diesem Ergebnis zwar mit Verständnis, sie warnt aber davor, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu einem Angstraum werden dürfen. "Es ist sehr gut nachvollziehbar, dass brutale Gewalttaten, wie sie auch in Bussen und Bahnen vorkommen, zu Verunsicherung führen", sagt ihr Sprecher Stefan Sukale. Deshalb begegne die Polizei dieser Entwicklung mit hohem Personalaufwand. Auch der Senat würde die Situation ernst nehmen, versichert er. "250 zusätzliche Polizisten befinden sich derzeit in Ausbildung. Zudem wurden die Speicherfristen für Videoaufzeichnungen bei der BVG von 24 auf 48 Stunden erhöht", so Sukale.

Berliner Kriminalstatistik

Im vergangenen Jahr wurden in Berlin insgesamt 494 385 Straftaten registriert, 25 182 davon im öffentlichen Nahverkehr. Bezogen auf den öffentlichen Nahverkehr entspricht das insgesamt einem Anstieg um 9,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zugenommen haben vor allem Diebstähle (um 11,9 Prozent) und das Schwarzfahren (26,9 Prozent), zurückgegangen ist dagegen die Zahl der Körperverletzungen (3,4 Prozent). (Quelle: aktuelle Kriminalstatistik der Landespolizei Berlin und der Bundespolizeidirektion Berlin).

Jana Tashina Wörrle / jtw
Autor:

Jana Tashina Wörrle aus Charlottenburg

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