Hilfsangebote für Obdachlose in Corona-Zeiten
Stadtmission eröffnete Quarantänestation und „Wohnheim 24/7“

Bereit für die ersten Corona-Patienten. | Foto: Berliner Stadtmission
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Die Berliner Stadtmission macht mit zwei neuen Einrichtungen auf ihrem Gelände an der Lehrter Straße über Berlins Grenzen hinaus auf sich aufmerksam.

Seit kurzem steht für bis zu 16 positiv auf Corona getestete Obdachlose mit leichteren Symptomen Deutschlands erste Quarantänestation zur Verfügung. „Wir freuen uns, dass hier auch eine Brücke gebaut wird vom Leben auf der Straße zurück ins Hilfesystem und damit vielleicht zurück in ein normales Leben“, sagte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) bei der Eröffnung. Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) und Sozialstadtrat Ephraim Gothe (SPD) haben sich für die Einrichtung der Quarantänestation eingesetzt.

Die Station befindet sich auf zwei Etagen über den Räumen der Ambulanz für Obdachlose. Es handelt sich um die Pflegezimmer für Obdachlose und Räume der Notübernachtung für Frauen während der Kältehilfesaison. Letztere ist beendet. Obdachlose mit anderen Erkrankungen als Corona wurden verlegt.

Erste Patienten werden erwartet

Neben den sechs Schlafräumen gibt es vier Toiletten und Badezimmer, zwei Aufenthaltsbereiche, ein Raucherzimmer sowie eine Patientenküche, zwei Dienstzimmer und eine neu gebaute Hygieneschleuse, die genauso funktioniert wie eine Schleuse auf einer Quarantänestation in einer Klinik. Angeleitet werden die insgesamt acht Mitarbeiter und ein Freiwilliger im Freiwilligen Sozialen Jahr von einem Kollegen, der für „Ärzte ohne Grenzen“ eine Ebola-Quarantänestation in Afrika mit aufgebaut hat.

Die obdachlosen Coronakranken erhalten eine medizinische Grundversorgung. Zweimal am Tag ist medizinisches Fachpersonal vor Ort. Die soziale Betreuung übernehmen Mitarbeiter der Stadtmission mit Erfahrung in der Arbeit mit Menschen auf der Straße. Obdachlose, die abhängig sind von Tabak, Alkohol und Drogen, erhalten kontrolliert Zigaretten und Bier sowie Drogenersatzstoffe. Das Verlassen der Station und der Empfang von Besuch sind tabu.

Die betroffenen Obdachlosen werden über das Bezirksamt Mitte eingewiesen. Es ist auch das Gesundheitsamt von Mitte, das feststellt, wann Patienten entlassen werden dürfen. Das geschieht frühestens zwei Wochen nach einer Ansteckung, wenn der Patient mindestens 48 Stunden symptomfrei war. Bisher musste Amtsarzt Lukas Murajda noch keinen Patienten auf die Quarantänestation schicken. Die Stadtmission erwartet aber demnächst die ersten Patienten.

Zuhause auf Zeit

Für 106 Obdachlose ist bis Juli ein „Zuhause auf Zeit“ geschaffen worden, das „Wohnheim 24/7“. Seine Aufgabe sei es, so formuliert es Stadtmissionssprecherin Barbara Breuer, „die Versorgung obdachloser Menschen in der Coronakrise sicherzustellen, in dem ihnen durch eine Unterkunft ein Schutzraum angeboten wird, wo sie ihre Grundbedürfnisse befriedigen können“. Menschen, die auf der Straße leben, gehören nach Auffassung der Berliner Stadtmission zur Corona-Risikogruppe. Denn viele sind psychisch, körperlich oder suchtkrank. Im Falle einer Infektion mit Covid 19 könnte der Krankheitsverlauf schwer sein.

Das neue Wohnheim auf dem Missionsareal, Lehrter Straße 106, verfügt über zwei Zweibettzimmer mit eigenem Bad für Rollstuhlfahrer, mehrere Dreibettzimmer mit Bad für 62 weitere Personen sowie Sechsbettzimmer mit 30 Plätzen und Gemeinschaftbädern. Ein Platz dort ist sehr begehrt. Das Wohnheim ist zurzeit voll belegt.

Wer ein Zuhause auf Zeit mit drei Mahlzeiten am Tag, kostenlosem WLAN, Wäsche waschen, Kleiderkammer, Gruppenaktivitäten und medizinischer Versorgung haben will, muss die Hausregeln beachten, was unter anderem den Verzicht auf Alkohol, Drogen und Gewalt auf dem Gelände sowie das Einhalten der Nachtruhe ab 23 Uhr bedeutet. Tiere dürfen mitgebracht werden. Leider würden die Regeln, insbesondere diejenige, auf Alkohol zu verzichten, nicht immer eingehalten. Es mussten bereits Hausverbote ausgesprochen werden, so Sprecherin Barbara Breuer. Insgesamt aber, so Breuer, sei die Stimmung entspannt. „Viele Bewohner kommen zur Ruhe und genießen es, sich mal keine Sorgen um einen Schlafplatz oder ums Essen machen zu müssen. Es ist sogar Zeit für Tischtennis und Wikingerschach”, berichtet Barbara Breuer.

Ehrenamtliche gesucht

Wie Wohnheimleiterin Theresa Hellmund erläutert, müsse jede aufgenommene Person sich sozial beraten lassen. „Bei dieser Form der Unterbringung ist Anwesenheit Pflicht, weil wir durch gezielte Arbeit mit den Untergebrachten deren möglichen Ausstieg aus der Obdachlosigkeit vorbereiten wollen“, so Hellmund. Beraten wird zur Antragstellung auf Sozialhilfe, Arbeitslosengeld oder -hilfe, auf Wohngeld, Unterhalt oder Rente, zur Rückkehr ins Erwerbsleben. Unterstützung gibt es auch beim Beschaffen von Dokumenten und Nachweisen oder wenn es darum geht, Schulden in den Griff zu bekommen.

Die Berliner Stadtmission sucht für das Wohnheim Ehrenamtliche, die täglich zwischen 17.30 und 22 Uhr bei der Vorbereitung und Ausgabe des Abendessens helfen wollen. Wer Interesse hat, kann sich bei der stellvertretenden Leiterin der Einrichtung, Anna Behnke, unter behnke@berliner-stadtmission.de melden.

Das Betreiben von Quarantänestation und Wohnheim kostet rund 205 000 Euro im Monat. Ein Platz auf der Quarantänestation kostet pro Patient und Tag 98,82 Euro, ein Platz im Wohnheim 34,32 Euro pro Tag. Die Finanzierung übernehmen zu gleichen Teilen der Bezirk sowie die Senatsverwaltungen für Finanzen beziehungsweise für Integration, Arbeit und Soziales.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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