2000 Bewerber auf der Warteliste
Reinhard Schramm über die angespannte Kleingartensituation im Süden

Reinhard Schramm findet Kleingärten für Großstadtfamilien mit Kindern  ideal. | Foto: Schilp
  • Reinhard Schramm findet Kleingärten für Großstadtfamilien mit Kindern ideal.
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Reinhard Schramm ist seit fast 40 Jahren Kleingärtner, seit 26 Jahren Vorsitzender der Kolonie „Fröhliche Eintracht“ und seit acht Jahren Vorsitzender des Bezirksverbands der Kleingärtner Tempelhof. Berliner-Woche-Reporterin Susanne Schilp traf ihn zum Gespräch.

Hat es im Moment überhaupt Sinn, sich auf eine Parzelle im Alt-Bezirk Tempelhof zu bewerben?

Reinhard Schramm: Nein, und das ist zurzeit auch gar nicht möglich. Im Juni 2020 haben wir die Liste geschlossen. Insgesamt gibt es 3573 Kleingärten und fast 2000 Bewerber sind in Warteposition. Es werden aber nur rund 150 bis 200 Parzellen jährlich aufgegeben. Wir sind nicht mehr in der Lage, die Nachfrage zu befriedigen. Trotzdem planen wir, die Liste im kommenden Jahr wieder aufzumachen.

Ist die Corona-Krise für die angespannte Situation verantwortlich?

Reinhard Schramm: Sie hat sie verschärft. Aber auch schon zuvor gab es großes Interesse. Das war vor gar nicht so langer Zeit anders. In den Jahren 2000 bis 2010 gab es eine Stagnation, da sind wir die Kleingärten nicht mehr losgeworden und haben sogar Schilder aufgestellt, um Bewerber anzulocken.

Erschwerend kommt hinzu, dass im Alt-Bezirk Tempelhof besonders viele Parzellen gefährdet sind, richtig?

Reinhard Schramm: Knapp die Hälfte unserer Anlagen sind Dauerkleingärten und damit sicher. Etliche sind im Berliner Flächennutzungsplan als Grünfläche festgeschrieben, andere leider nur bis 2030 geschützt. Akut problematisch ist es für zehn unserer 54 Kolonien. Sie sind laut Kleingartenentwicklungsplan für „Soziale Infrastruktur“ vorgesehen. Damit trifft es uns im Berlinvergleich am härtesten.

Gibt es dafür einen triftigen Grund?

Reinhard Schramm: Hier gibt es viele kleine Anlagen, ein echter Flickenteppich. Die meisten sind in kommunaler Hand. Beides ist nicht unbedingt ein Vorteil, denn einige Flächen eignen sich gut dafür, Einrichtungen wie eine Schule zu bauen. So wie es auf den Anlagen Eschenallee am Marienhöher Weg und Morgengrauen geplant ist.

Die Kleingärtner des größeren Teils der Kolonie Morgengrauen an der Eisenacher Straße mussten bereits zum 1. Dezember 2020 räumen.

Reinhard Schramm: Ja, und jetzt verkommt das Gelände langsam zur Müllkippe. Die Menschen, die mit dem Bus vorbeifahren, glauben womöglich, wir seien daran schuld. Das ärgert mich, denn das schädigt den Ruf der Kleingärtner. Verantwortlich für die Situation ist das Bezirksamt. Nicht einmal ein Bauschild steht dort. Wenn die Kolonisten schon runtermüssen, dann muss auch schnell etwas passieren und man sollte nicht, wie hier, warten, bis die Bäume blühen.

Zurück zu den Bewerbern. Darf der Bezirksverband mitentscheiden, wer den Zuschlag bekommt?

Reinhard Schramm: Nein, auf gar keinen Fall. Es ist Teil unserer Gemeinnützigkeit als Zwischenpächter, dass wir streng nach der Bewerberreihenfolge vorgehen. Das wird auch regelmäßig vom Bezirksamt überprüft.

Hat sich die Nutzerstruktur verändert?

Reinhard Schramm: Es sind junge Familien dazugekommen. Und auch bei Migranten ist das Interesse gewachsen, zum Beispiel für eine Parzelle in der Kolonie Frieden in Mariendorf an der Grenze zu Neukölln.

Apropos, dürfen sich Menschen in allen Bezirken um einen Kleingarten bewerben oder nur an ihrem Wohnort?

Reinhard Schramm: Das steht ihnen völlig frei. Sie können sich auf einen Ortsteil bewerben, auf eine bestimmte Kolonie und auch auf eine spezielle Parzelle. Allgemein heißt es ja, ein Kleingarten sollte am besten von der Wohnung aus fußläufig zu erreichen sein. Ich sehe das ein wenig anders und mag es, dass mein Garten nicht direkt vor Haustür liegt.

Was ist für Sie das Schönste am Kleingärtnerdasein?

Reinhard Schramm: Kleine Kinder an die Scholle heranzuführen, sie in der Natur stöbern zu lassen. So war es auch bei mir. Meine Oma hatte eine Laube am Flughafen Tegel, das war damals immer eine lange Reise. Meine Erfahrung zeigt: Kinder, die in einem Kleingarten aufwachsen, haben später selbst einen.

Hat sich in all der Zeit etwas eindeutig zum Positiven verändert?

Reinhard Schramm: Ja, früher durften zum Beispiel Autos auf den Wegen fahren und es gab sogar Carports auf den Grundstücken. Die Kinder mussten aufpassen, wenn sie auf der Anlage unterwegs waren. Erst das Bundeskleingartengesetz hat 1984 damit Schluss gemacht. Zum Glück.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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