Zwangsarbeiterlager im Gartenrestaurant
Neue Datenbank des Dokumentationszentrums zeigt rund 1400 frühere Standorte in ganz Berlin auf

Auch im Ausflugslokal "Eierhäuschen am Rand des Plänterwalds waren Zwangsarbeiter einquartiert. | Foto: Ralf Drescher
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Bis zum Ende der NS-Diktatur waren im Raum Berlin rund 500 000 Zwangsarbeiter in Industriebetrieben, Handwerksfirmen und sogar in Behörden wie Bezirksverwaltungen tätig. Spuren gibt es fast keine mehr. Eine neue Datenbank zeigt aber viele der Standorte auf.

Wendenschloßstraße 148-154, Elsenstraße 90-96, Kiehnwerderallee 2-3 oder Friedrichshagener Straße 9 sind auf den ersten Blick ganz normale Adressen. Die neue Datenbank des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit offenbart aber deren unrühmliche Vergangenheit. In der Wendenschloßstraße befand sich die GEMA, ein Elektronikunternehmen, in dem Radartechnik gefertigt wurde. Auf dem Firmengelände war eine Gemeinschaftsunterkunft für zivile Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion. In der Elsenstraße hatte das renommierte Unternehmen Erich & Graetz seinen Sitz. Hier waren 100 Männer aus der Sowjetunion auf dem Firmengelände untergebracht, die als Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene schwere Arbeit leisten mussten. In der Kiehnwerderallee befindet sich noch heute die Gaststätte Eierhäuschen, die gerade restauriert wird. Hier war eine unbekannte Anzahl von Zwangsarbeitern vermutlich im Tanzsaal einquartiert. Und im firmeneigenen Lager an der Friedrichshagener Straße 9 lebten Frauen aus der Sowjetunion, die in der Kodak-Filmfabrik schuften mussten. Gleich nebenan, Friedrichshagener Straße 11, waren ebenfalls Frauen aus der Sowjetunion fast neben ihren Kabelmaschinen untergebracht. Auch die Vogel Kabelwerke galten als kriegswichtig.

"Das Dokumentationszentrum konnte 2006 eine Datenbank übernehmen, die von der Entschädigungsstelle des Senats für Zwangsarbeiter angelegt worden war. Die ist in den vergangenen Jahren von Projektmitarbeitern vervollständigt worden", sagt Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit. Die Standorte von 1400 Zwangsarbeiterlagern in Berlin konnten ermittelt werden, es soll bis Kriegsende rund 3000 Sammelunterkünfte gegeben haben. Die Unterbringung der schwer arbeitenden Männer und Frauen war menschenunwürdig. In schnell gezimmerten Baracken auf Firmengeländen, in Tanzsälen oder Lagerräumen von Gartenlokalen und auch in Bootshäusern und Kellern konnten sie nach einem langen Arbeitstag nur wenige Stunden verschnaufen.

„Fast an jeder Ecke Berlins befand sich ein Zwangsarbeitslager. Nur an wenigen Orten erinnern bauliche Relikte an die Existenz dieser Unrechtsorte. Die Datenbank will die Allgegenwart dieser Lagerorte deutlich machen und anregen, im eigenen Kiez auf Spurensuche zu gehen. Wir bemühen uns weiter um Daten und Informationen, mit dem Ziel, möglichst alle Standorte zu erfassen", so Christine Glauning. Allein für Treptow-Köpenick sind rund 130 Standorte aufgelistet. Neben der bereits erwähnten Gaststätte am Spreeufer zum Beispiel auch das Ausflugslokal „Paradiesgarten“ am Treptower Park und das Lokal „Marienlust“ am Fuß der Müggelberge. Selbst in der relativ kleinen Bootswerft Schneider in der Straße Blumeslake im beschaulichen Rahnsdorf waren laut Datenbank 71 Männer und Frauen aus Frankreich, Belgien, Polen, der Sowjetunion und Ungarn untergebracht.

Die Datenbank soll Anwohner, Schüler und Ortschronisten dazu einladen, sich in ihrem Umfeld auf die Spuren der Zwangsarbeit in Berlin zu begeben. Kompetente Hintergrundinformationen bietet das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Britzer Straße 5, Telefon 63 90 28 80, Es befindet sich selbst in den erhaltenen Baracken eines früheren Zwangsarbeiterlagers. Geöffnet ist bei freiem Eintritt Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

Zugang zur Datenbank: www.ns-zwangsarbeit.de/recherche/lagerdatenbank

Autor:

Ralf Drescher aus Lichtenberg

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