Wilmersdorf sucht seine Mitte: Neue Bürgerini gründet sich

Der Mann, der eine Kreuzung zähmen will: Initiativengründer Matthias Reich hörte Zuspruch und skeptische Worte. | Foto: Thomas Schubert
3Bilder
  • Der Mann, der eine Kreuzung zähmen will: Initiativengründer Matthias Reich hörte Zuspruch und skeptische Worte.
  • Foto: Thomas Schubert
  • hochgeladen von Thomas Schubert

Wilmersdorf. Es war einmal ein Wilmersdorf mit beschaulichem Ortskern, der Sinn stiftete und Identität. Jetzt macht sich eine neue Initiative daran, den Blisse-Kiez zu diesem Zustand zurückzuführen. Und setzt an bei einer Kreuzung, die kostbaren Stadtraum fraß.
Ein altes Kino, das war der Ort für einen Neuanfang. Und wer nicht rechtzeitig erschienen war, um im durchaus geräumigen Vorführraum der Eva-Lichtspiele die Auftaktveranstaltung der Initiative „Wilmersdorfer Mitte“ zu erleben, verfolgte das Geschehen stehend.
Wenn es also nach der Menge an Interessenten geht, muss sich Gastgeber Matthias Reich um die Anfangsphase keine Sorgen machen. Der formale Gründungsakt seiner BI steht erst noch bevor – doch ein erstes konkretes Projekt für den Blisse-Kiez haben alle 400 Zeugen der Versammlung bereits klar vor Augen: die Rückgewinnung des alten Zentrums.

Verkehr eindämmen

Wo sich Mecklenburgische, Blisse- und Uhlandstraße treffen, ist Alt-Wilmersdorf nicht mehr als eine asphaltierte Piste. Könnte man hier nicht durch eine Neuordnung der Verkehrswege verlorenen Raum zurückgewinnen? Könnte man diese Kreuzung, eine graue Narbe im grünen Gürtel des Volksparks Wilmersdorf, nicht heilen?
Reich und seine Mitstreiter halten dies nicht nur für möglich, sondern sogar für nötig. „Viel von der Geschichte des alten Wilmersdorfs liegt unter Asphalt begraben“, bedauert der Initiativen-Gründer. Nur eine Abkehr von der autogerechten Stadt könnte Spielraum für eine menschenfreundliche Zukunft eröffnen. Ein neuer Stadtplatz an der Wilhelmsaue, eine Kappung der Verbindung von Uhlandstraße und Mecklenburgische Straße, ein Zusammenziehen der beiden Teile des Volksparks, eine Beschränkung des Durchgangsverkehrs auf die Blissestraße – das wären die einzelnen Schritte der Operation am Herzen der Stadt.
Und prompt hörte man im Kinosaal Lob von Fürsprechern und Kritik der Bedenkenträger. Ein Gewinn an Lebensqualität an der Wilhelmsaue würde man mit einer Verdrängung des Verkehrs in angrenzende Straßen bezahlen, warnte ein Gast. Den motorisierten Verkehr könne man nicht einfach wegplanen – „wir wünschen ihn uns nicht, aber wir müssen mit ihm umgehen.“

Neue Gewohnheiten lernen

Ob der Ortsteil die Operation am Herzen verkraftet, das wird keine Frage der Straßenführung sein. Diese Ansicht jedenfalls vertritt Oliver Schwedes von der TU Berlin, den die neue Initiative als Redner gewinnen konnte.

„Sie sind es gewohnt, aus einer Perspektive hinter der Windschutzscheibe zu denken“, kommentierte der Professor zur Auftaktveranstaltung die Einwände der Kritiker. Die heutige Jugend werde im Alter „hoch automobil“ sein – schon allein, weil ein Großteil der Frauen anders als früher einen Führerschein besitzt und in Zukunft auch davon Gebrauch macht. Diesen Trend zur Zunahme des motorisierten Verkehrs müsse man rechtzeitig brechen, indem man neue Gewohnheiten einübt.

Wie schwer es sein kann, neue Gewohnheiten einzuüben, erklärte den Gästen Wolfgang Severin als Vorsitzender der bestehenden Initiative Bundesplatz. Seit Jahren kämpft er für Tempo 30 und eine ganz ähnliche Wiederbelebung einer städtischen Oase wie Reich nun an der Wilhelmsaue. Ein Kampf mit bockigen Behörden und Kritikern, die solche Vorhaben belächeln. „Gutsituierte Wilmersdorfer Spießer wollen ihre Vorgärten schöner haben“ – mit solchen Reaktionen müsse man als Vordenker der Verkehrsberuhigung leben.

Über den Tellerrand gucken

Aber so herablassend klingen die Bemerkungen der örtlichen Politiker nun wahrlich nicht. Stefan Evers von der CDU, Franziska Becker von der SPD, Alexander Kaas-Elias von den Grünen – sie alle versuchen schon am Bundesplatz im Sinne der Bürger Kompromisse auszuhandeln. Und melden auch im Fall der Wilmersdorfer Mitte ihre Ambitionen an. Warum es sich lohnt, bei der Forderung nach Verkehrsberuhigung nach links und rechts zu schauen, liegt für Wolfgang Severin auf der Hand. Er verwies darauf, dass es nun überall entlang der Verkehrsachse im Südwesten Berlins, die man als „Carstennsche Figur“ kennt, jetzt starke Initiativen gibt. Warum also nicht gemeinsame Projekte starten? Warum nicht „Vorfahrt für den Volkspark“ verlangen, indem man gemeinsam für einen Tag die Straßen besetzt, die den Park zerschneiden? Solche Unterfangen werden wirkungsvoller mit jedem neuen Zusammenschluss von mutigen Bürgern. tsc

Die Gründungsveranstaltung der Initiative „Wilmersdorfer Mitte“ findet am Montag, 14. März, ab 19 Uhr im Gemeindesaal der Auenkirche, Wilhelmsaue 118a statt. Interessenten sind ohne Anmeldung willkommen.
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn Sie Ihren eigenen Willen in einer Patientenverfügung niederzuschreiben, erhalten Sie die größte Sicherheit, dass das, was geschieht, Ihren eigenen Weisungen und Vorstellungen entspricht.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wir informieren Sie
Patientenverfügung und Vorsorge

Wer denkt schon gerne an einen Unfall oder sein Ableben? Doch wenn der Notfall eintritt, stehen unsere Angehörigen vor einer großen Herausforderung. Um ihnen diese Last und Verantwortung zu erleichtern, ist eine Patientenverfügung wichtig. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, seinen eigenen Willen in einer Patientenverfügung niederzuschreiben. Dadurch erhalten Sie die größte Sicherheit, dass das, was geschieht, Ihren eigenen Weisungen und Vorstellungen entspricht. Ihre Ärzte und...

  • Hermsdorf
  • 08.05.24
  • 252× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Chronische Bauchschmerzen können das Leben stark beeinträchtigen.

Lösungsansätze
Chronische Bauchschmerzen verstehen

Chronische Bauchschmerzen sind definiert als konstante oder wiederkehrende Schmerzen, die drei Monate oder länger anhalten und das Leben stark beeinträchtigen können. Aber was steckt hinter diesen Schmerzen? Die möglichen Ursachen sind vielfältig und erfordern häufig eine umfangreiche Diagnostik. Rund 30 % der Betroffenen erhalten nach dem Hausarztbesuch keine spezifische Diagnose. Doch warum ist das so? Wir laden Sie ein, mehr über chronische Bauchschmerzen zu erfahren, warum eine Koloskopie...

  • Hermsdorf
  • 10.05.24
  • 73× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.