"Stadtmarkierung" wirft ein Schlaglicht auf Ausgrenzung

Der Kurfürstendamm-Flaneur kann sich vor Ort über die Geschehnisse informieren. | Foto: KEN
  • Der Kurfürstendamm-Flaneur kann sich vor Ort über die Geschehnisse informieren.
  • Foto: KEN
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Charlottenburg. Im Themenjahr "Zerstörte Vielfalt" ist Berlin an elf Stellen "markiert". Bilder und Texte an mobilen Litfaßsäulen werfen am historischen Ort ein Schlaglicht auf die Geschichte von Diskriminierung, Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung. In Charlottenburg-Wilmersdorf ist die "Stadtmarkierung" am Kurfürstendamm.

Genau vor den Ku’damm-Bühnen lassen die Litfaßsäulen den Passanten innehalten und laden zum Betrachten der historischen Aufnahmen und Lesen der Texte ein. In den "Goldenen Zwanzigern" leuchtete Berlin als Kulturmetropole. Und das Herzstück war der Kurfürstendamm. Das Angebot an kulturellen Einrichtungen, Veranstaltungen und Künstlern für ein interessiertes Publikum war schier unübersehbar. Für alles und jedes gab es eine Nische. Die Entfaltungsmöglichkeiten waren riesengroß. Die Nationalsozialisten attackierten diese Vielfalt schon vor 1933. Nach der Machtübertragung an Hitler änderte sich das Bild rasch durch staatliche Zwangsmaßnahmen, Berufsverbote, Flucht und Emigration von Künstlern, aber auch durch Opportunismus, Schweigen und Mitmachen.

Die Theater wurden als "verjudet" gebrandmarkt, ebenso erging es der Musikbranche. Die Kabarettisten, die in den 20er- und frühen 30er-Jahren den Großteil des Kulturlebens der Stadt prägten, wurden geschmäht, aus dem Land getrieben oder verhaftet; Repräsentanten des modernen Tanzes als "entartet" verjagt. Kunsthändlern entzogen die Nationalsozialisten ihre Niederlassungen. Jüdische Kunstsammler waren gezwungen, ihre Sammlungen weit unter Wert zu verkaufen. Nach dem Novemberpogrom kam es zu Zwangsenteignungen und Deportation.

Als Selbsthilfeorganisation für entlassene oder mit Berufsverbot belegte jüdische Künstler wurde im Juli 1933 der Kulturbund Deutscher Juden gegründet, der sich später in "Jüdischer Kulturbund" umbenennen musste, weil "deutsch" und "jüdisch" nicht zusammen stehen durfte. Treibende Kraft war der Arzt und Musikwissenschaftler Kurt Singer. Er übernahm die Leitung der Organisation. Sie bot den jüdischen Künstlern Auftrittsmöglichkeiten und dem ausschließlich zugelassenen jüdischen Publikum ein vielseitiges, anspruchsvolles Kulturprogramm. Der Kulturbund konnte bis 1941 wirken. Singer floh 1938 in die Niederlande. Dort wurde er 1943 verhaftet. Er kam 1944 in Theresienstadt zu Tode.

Anders war die Situation beim Film: Die Nationalsozialisten erkannten dessen propagandistische Schlagkraft. Berlin war das Zentrum des deutschen Films. Über 90 Prozent der Produktionen fanden hier oder in Babelsberg statt. Es gab rund 400 Kinos in der Stadt. Ihr Schwerpunkt war Charlottenburg, und hier vor allem rund um den Kurfürstendamm und den Tauentzien. Die Studios handelten mit vorauseilendem Gehorsam, entließen jüdische Mitarbeiter und produzierten nur noch Stoffe, die den neuen Machthabern genehm waren. Die Kinobesitzer, von denen die wenigsten Juden waren, wurden auf Hitler vereidigt.

Die Info-Säulen vor den Ku’damm-Theatern erinnern darüber hinaus an Einzelpersönlichkeiten wie die Kabarett- und Chansonsängerin Claire Waldoff (1884-1957), die nach 1933 Auftrittsverbot erhielt; an den künstlerisch wegweisenden Regisseur des deutschsprachigen Theaters, Max Reinhardt (1873-1943), der aus dem Land fliehen musste; an den Kabarettisten Werner Finck (1902-1978), der noch bis 1935 in seiner "Katakombe" Witze über die Nazis reißen konnte: "Wir sind nicht zu offen, aber wir sind offen genug, um gerade noch offen zu bleiben." An die gefeierte, exzentrische Tanzpantomimin Valeska Gert (1892-1978), an den Kunsthändler Alfred Flechtheim (1878-1937), den Star-Filmregisseur Fritz Lang (1890-1976) oder die avantgardistische Sopranistin Rose Pauly (1894-1975).

Karen Noetzel / KEN
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 234× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 994× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 651× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.141× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 2.030× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.