"Bauen, bauen, bauen": Stadtforum beschäftigt sich mit dem Thema Wohnen
Kreuzberg. Berlin wächst rasant. Der Wohnungsbau hält mit dem Zuzug bisher noch nicht Schritt. Was muss deshalb passieren?
Das war die zentrale Frage beim Berliner Stadtforum am 4. April im Tempodrom. Die rund 600 Besucher bekamen viele Antworten, die aber vor allem auf einen Dreiklang hinausliefen. Und der lautet: Es muss noch schneller gehen, möglicherweise auch zu Lasten langer Bürgerbeteiligungsprozesse. Auch auf mehr standardisiertes Wohnen soll zurückgegriffen werden. Das alles mit dem Ziel, die 2015 erreichten 12 500 Neubauten in den kommenden Jahren annähernd zu verdoppeln.
Die Fakten: Zwischen 2011 und 2015 betrug das Bevölkerungsplus der Stadt rund 220 000 Einwohner. "Das ist eine Stadt in der Größenordnung von Erfurt", machte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) deutlich. Für die kommenden fünf Jahre erwartet er einen weiteren Zuwachs von etwa 145 000 Neubürgern. Zusammen wären das ungefähr so viele, wie heute in Bochum leben. Der Senat habe in der Stadt Flächen für etwa 200 000 neue Wohnungen ausgemacht, die zumindest "theoretisch" genutzt werden könnten.
Die Probleme: Neubauvorhaben führen fast überall zunächst zu Protest der betroffenen Nachbarn. Eigeninteressen würden oft über dem Blick auf das Gemeinwohl stehen, beklagte nicht nur Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Grüne), Baustadtrat aus Pankow. Da werde mit dem Klimawandel oder Frischluftschneisen argumentiert, wenn die Anwohner eigentlich nur ihre Parkplätze retten wollten. Ähnlich klang das bei Snezana Michaelis, Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag: "Wer jahrelang gewohnt war, von seinem Fenster ins Grüne zu schauen, wehrt sich, wenn dort ein neues Haus entsteht."
Bezahlbares Wohnen
Auch Menschen mit weniger Einkommen sollen weiter in der Innenstadt eine Wohnung finden. "Wir wollen keine Verhältnisse wie in London oder Paris, wo nur noch Gutsituierte im Zentrum leben", erklärte der Senator. Er will den sozialen Wohnungsbau forcieren. Und dann gibt es da auch noch die sogenannten kooperative Baulandentwicklung: Investoren von großen Bauvorhaben sollen ein Viertel ihrer geplanten Wohnungen zu einem Preis um die 6,50 Euro pro Quadratmeter anbieten, beziehungsweise die Flächen dafür einem städtischen Wohnungsunternehmen zur Verfügung stellen. Gegen dieses Vorgehen wehren sich aber inzwischen manche Bauherren, zuletzt etwa an der Cuvrybrache.
Auf günstige Wohnungen seien immer mehr Menschen angewiesen, mahnte der Soziologe Heinz Bude. Denn die Ungleichheit in der Gesellschaft nehme zu. Die Mittelklasse zerfranse nach oben und unten, zudem gebe es inzwischen ein "Dienstleistungsproletariat", zu dem er Beschäftigte zählte, die zwar einen Vollzeitjob hätten, von diesem aber kaum leben könnten.
Bauvorgaben: Kleinere, aber gut geschnittene Wohnungen seien das Gebot der Stunde, hieß es immer wieder. Dazu zwinge bereits ein sparsamer Umgang mit der vorhandenen Fläche. Auch höher und mehr nach den gleichen Stereotypen sollen die Häuser gebaut werden. Das bedeute nicht die Uniformität des Plattenbaus, fand Andreas Geisel. Aber variiert angewendet, sorge das auch für eine Kostenersparnis.
Wer baut wie viel?
Die kommunalen Gesellschaften sollen in den kommenden Jahren jeweils rund 6000 Neubauten errichten, also etwa ein Drittel des vorgesehenen Bestands. Mehr Engagement wird außerdem von Wohnungsbaugenossenschaften erhofft. Der Senator beklagte insgesamt die Diskrepanz zwischen erteilten Baugenehmigungen und wirklichen Bauvorhaben. In Berlin habe es im vergangenen Jahr etwa 20 000 Genehmigungen gegeben, aber nur gut die Hälfte sei auch wirklich realisiert worden. Hier liege der Verdacht nahe, dass mit den Grundstücken spekuliert und sie für einen gehörigen Aufschlag weiter verkauft werden. Was natürlich den Baupreis verteuert. Geisel denkt deshalb über eine erhöhte Grundsteuer für die Eigentümer nach, die ihre Flächen erst einmal brach liegen lassen.
Schnellere Bürgerbeteiligung? Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, hat neben manchen bürokratischen Hürden auch oft lange dauernde Bürgerbeteiligungsverfahren als ein Hindernis für schnelle Neubauten ausgemacht. Nichts gegen eine umfassende Information der Bevölkerung, aber irgendwann müssten die Diskussionen beendet werden. Auch ein abgespecktes Bebauungsplanverfahren brachte er in diesem Zusammenhang ins Spiel. Um mit den Bauanträgen weiter Schritt zu halten, wird es in diesem Jahr 50 weitere Mitarbeiter für die Bauverwaltungen der Bezirke geben. Auf die Ausschreibung haben sich 400 Personen beworben.
Gelassene Reaktionen
Das Publikum: Die Gäste des Stadtforums nahmen nicht nur Aussagen wie die des Staatssekretärs gelassen hin. Es herrschte der Eindruck vor, als wolle sich kaum jemand als Gegner und damit Verhinderer dringend benötigten Wohnungsneubaus outen. Ein Vertreter des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) verwies auf einen noch immer zu großzügigen Flächenverbrauch bei manchen Vorhaben. Andere plädierten dafür, bei Nachverdichtungen auch das Berliner Umland stärker mit einzubeziehen.
Andreas Geisel hatte bereits zu Beginn für eine kritische, aber konstruktive Beteiligung geworben und das in einen Katalog von acht Fragen oder besser Handlungsanleitungen gekleidet. Möglicherweise fehle ihm an der einen oder anderen Stelle die Sensibilität, um Schwierigkeiten zu erkennen, räumte er ein. "Auch deshalb suchen wir das Gespräch mit der Stadtgesellschaft." Seine Leitlinie machte er allerdings ebenso klar: "Bauen, bauen, bauen. Auch gegen Widerstände." tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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