Ein Leben wie ein Roman
Platz am "Bullenwinkel" soll nach Maria von Maltzan benannt werden

Maria von Maltzan in den 1920er-Jahren während ihrer Zeit an der Kreuzberger Elisabeth-Schule. | Foto: Gemeinfrei aus Wikipedia
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  • Maria von Maltzan in den 1920er-Jahren während ihrer Zeit an der Kreuzberger Elisabeth-Schule.
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Maria Gräfin von Maltzan (1909-1997) ist zwei Mal mit Kreuzberg in Berührung gekommen. Sehr früh und am Ende ihres Lebens. Vor allem am zweiten Aufenthalt macht sich die jetzt gewünschte Würdigung fest.

Ab 1983 betrieb die Frau eine Tierarztpraxis am Oranienplatz, unweit des sogenannten "Bullenwinkels". Dieser Name steht für das kleine Rondell am Ende der Naunynstraße mit Durchgang zum Oranienplatz. Er soll künftig Maria-von-Maltzan-Platz heißen. Das fordern die Fraktionen von Bündnis90/Grüne, Linke und SPD in einem gemeinsamen Antrag. Er greift eine bereits bestehende Initiative um den Künstler Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris) auf. Vor der Umbenennung soll es ein Beteiligungsverfahren mit Anwohnern, Gewerbetreibenden und weiteren Interessengruppen geben.

"Mit ihrem bewegten Leben und ihrem Lebenswandel passt Maria von Maltzan hervorragend nach Kreuzberg SO 36", finden die Antragsteller. Sie wurde allerdings vor andere Herausforderungen gestellt, als heutige selbsternannte Nonkonformisten.

Erfolge und Abstürze

Maria Helene Francoise Izabel Gräfin von Maltzan, Freiin von Wartenberg und Penzlin, so ihr vollständiger Name, wurde als jüngstes Kind einer schlesischen Adelsfamilie auf einem Schloss geboren und starb ziemlich mittellos. Sie war examinierte Tierärztin und promovierte Zoologin, arbeitete aber auch als Pferdepflegerin, Journalistin und Übersetzerin, Regieassistentin und Stuntfrau. Auch drei Ehen gehören zu diesem Kurzabriss. Sie dauerten jeweils nur kurz, beim letzten Mal durch den Tod geschieden. Zwei Mal heiratete sie denselben Mann. Allerdings im Abstand von mehr als 20 Jahren.

Auf Erfolge folgten Abstürze, bis hin zum Verlust ihrer Praxis wegen Medikamentenabhängigkeit. Danach, im schon fortgeschrittenen Alter, der Neuanfang, zuletzt unweit des Bullenwinkels. Dort behandelte sie die Tiere von Punks oder prekären Nachbarn ohne Honorar.

Ein Leben wie ein Abenteuerroman oder noch besser als im Film. Den gab es schon 1984, bei dem die Schauspielerin Jacqueline Bisset Maria von Maltzan verkörperte. Eine Produktion, die die Gräfin wenig gelungen fand. Zwei Jahre später hat sie ihre Memoiren veröffentlicht. Sie tragen den Titel "Schlage die Trommel und fürchte dich nicht".

Die Erinnerungen, wie zuvor der Film, sorgten dafür, dass die größte Leistung von Maria von Maltzan einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden: ihr aktiver Widerstand im Nationalsozialismus, der sich mit dem Wort Zivilcourage nur unzureichend ausdrücken lässt. Sie habe mindestens 60 Verfolgten das Leben gerettet, sagte Hans Hirschel (1900-1975), ihr Ehemann Nummer zwei und drei.

Mit Frechheit gegen die Gestapo

Hans Hirschel war einer von ihnen. Von 1942 bis Kriegsende versteckte sie ihn in ihrer Wohnung, damals in der Detmolder Straße 11 in Wilmersdorf. Er musste sich die meiste Zeit in einem Schlafsofa verbergen. Außer ihm fanden weitere von der Deportation bedrohte Juden in ihrer Wohnung Unterschlupf, ebenso wie später Wehrmachtsdeserteure und zwei ukrainische Mädchen, die sie aus einem Kinderlager herausgeholt hatte. Eine Gedenktafel vor dem heutigen Gebäude erinnert daran.

Auch in die Aktion "Schwedenmöbel" war Maria von Maltzan involviert. Wenn Staatsbürger des neutralen Schweden während des Krieges in ihre Heimat zurückkehren wollten, wurde ihre Habe in verplompten Eisenbahnwagen Richtung Norden geschickt. Mit Hilfe von Regimegegnern bei der Reichsbahn gelang es der schwedischen Gemeinde an der Landhausstraße in diese Waggons Juden einzuschmuggeln. Am Stadtrand von Berlin wurden die Waggons dafür geöffnet. Maria von Maltzans Aufgabe war es, die Menschen an den entsprechenden Ort zu bringen. Darüber hinaus hatte sie Kontakte zu unterschiedlichen Widerstandsgruppen und war für sie tätig: von den Kommunisten über Katholiken bis zum Kreisauer Kreis.

Angst wäre in solchen Situationen völlig fehl am Platz, hat sie in ihren Aufzeichnungen resümiert. Eher Entschiedenheit, manchmal auch Frechheit. Etwa, wenn die Gestapo in der Wohnung vorstellig wird. Der Bettkasten, in dem Hans Hirschel liegt, soll geöffnet werden. Das sei nicht möglich, erklärt die Gräfin. Die Herren könnten ihn ja aufschießen. Den Schaden wolle sie dann ersetzt bekommen. Die lassen davon ab.

Dass ihr Haus auch danach von der Geheimen Staatspolizei bewacht wird, ist Maria von Maltzan klar. An einem Winterabend schüttet sie Wasser in den Innenhof. Es gefriert in der Nacht, die Gestpo-Schergen rutschen aus und machen dabei Lärm. Sie ruft beim Polizeirevier an und meldet mutmaßliche Einbrecher. Auch der benachbarte Fleischer wird um Hilfe gebeten und erscheint mit einer Axt. Die Überwacher werden dadurch enttarnt. Das alles liest sich wie Schelmenstücke, bei denen leicht vergessen wird, vor welchem Hintergrund sie spielen.

Späte Ehre

Erst spät wurde Maria von Maltzan für ihren Einsatz auch die gebührende Würdigung zuteil, etwa als "Gerechte unter den Völkern" in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und 1989 mit der Verdienstmedaille des Landes Berlin.

In Kreuzberg schloss sich ihr Kreis. In den 1920er-Jahren hatte sie bei ihrer Mutter, der Vater war 1921 gestorben, die Aufnahme in die reformorientierte Elisabeth-Schule durchgesetzt, die sich damals an der Kochstraße befand. 1927 machte sie dort Abitur. 56 Jahre später folgte die Rückkehr in den Bezirk.

Ein Hindernis bei Straßenumbenennungen in Friedrichshain-Kreuzberg fällt in ihrem Fall weg. Denn neue Bezeichnungen sollen nur an Frauen vergeben werden.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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