"Pinselheinrich" und sein "Milljöh"
Zille-Museum startet ins Jubiläumsjahr

Vater Zille alias Albrecht Hoffmann ist ein Zille-Kenner. Den "Pinselheinrich" hätte er gern persönlich getroffen.  | Foto:  Ulrike Kiefert
8Bilder
  • Vater Zille alias Albrecht Hoffmann ist ein Zille-Kenner. Den "Pinselheinrich" hätte er gern persönlich getroffen.
  • Foto: Ulrike Kiefert
  • hochgeladen von Ulrike Kiefert

Heinrich Zille war einer der bekanntesten Berliner Künstler. Seine „Milljöh“-Bilder machten den gelernten Lithografen als Zeichner und Fotografen berühmt. Das Zille-Museum im Nikolaiviertel, das in diesem Jahr 20. Jubiläum feiert, ehrt ihn mit einer Sonderausstellung.

Fast 30 Jahre lang trieb sich Heinrich Rudolf Zille unermüdlich im Elend der Berliner Hinterhöfe herum, in Bordellen, Destillen und Arbeiterkaschemmen. Mit spitzer Feder sezierte er gnadenlos das „Innenleben“ des schnell wachsenden Proletariats und lernte dessen Jargon. Als er am 9. August 1929 starb, trauerte die ganze Stadt um ihren „Pinselheinrich“, den genialen Zeichner, Maler und Fotografen.

Ein Haus, das ihn bis heute ehrt, ist das Zille-Museum in den Arkaden der Propststraße im historischen Nikolaiviertel. Seit genau 20 Jahren gibt es das Museum, das über eine Privatiniative entstand und vom Verein Heinrich-Zille-Freundeskreis betrieben wird. Zu den Gründungsmitgliedern und Unterstützern des Museums gehören Zilles Urenkel Hein-Jörg Preetz-Zille, der Schaupieler und Zille-Darsteller Walter Plathe, Günter Pfitzmann, Edith Hancke, die Stiftung Stadtmuseum, das Brauhaus Georgenbräu, die IG Nikolaiviertel und natürlich Vater Zille alias Albrecht Hoffmann.

Hoffmann leitet „Zilles Stubentheater“ in Köpenick, tritt dort als Zille auf und führt als Zille-Kenner die Besucher durchs Museum. Das präsentiert auf zwei Etagen genau 162 Exponate, darunter Zeichnungen, Grafiken, Fotos, Original-Briefe und Bücher. Albrecht Hoffmann kennt sie alle und weiß so manche Anekdote zu erzählen. Über Zilles Bild „Gesellschaft in Altberliner Destille“ von 1905 zum Beispiel. Wer genau hinschaut – und bei Zille muss man auf Details achten –, entdeckt, dass sämtliche Löffel auf dem Kneipentisch an der Kette liegen. „Zille muss in einer Kneipe unweit vom damaligen Gefängnis am Plötzensee gesessen haben“, erklärt Hoffmann. Freigänger klauten aus der Destille offenbar gern die Löffel, um sie als Ausbruchswerkzeuge zu missbrauchen. Darum kettete der Kneipenwirt sie an. Auch Zilles bekannteste Lithografie „Drücken musste“ ist im Museum zu sehen. „Fünf Varianten hat Zille gezeichnet, drei davon hängen bei uns“, sagt Hoffmann. Eine mit Tannenbaum, eine ohne und eine mit Karren als Kinderwagen. Die drei dazugehörenden Original-Druckplatten für den Plakatdruck hat Zilles Urenkel dem Museum als Dauerleihgabe überlassen.

Bissige Kritik am sozialen Elend
in den Berliner Mietskasernen

Im oberen Stockwerk liegen in Schaukästen auch Zilles Briefe an seinen Freund Dr. Alfred Harf und sein erster Bildband „Mein Milljöh“ aus, eine bissige Kritik am sozialen Elend in den Berliner Mietskasernen. Harter Tobak, aber ein typischer Zille sind die „Hurengespräche“, die er 1919 unter dem Synonym W. Pfeifer veröffentlichte. Zille interviewte damals acht Berliner Huren und erzählte ihren Alltag ungeschminkt in Zeichnungen nach. „Zille war ein sehr sozialkritischer Maler. Er hat gezeichnet, was er gesehen hat, ohne es zu kommentieren. Das macht ihn zu einem echten Zeitzeugen“, sagt Albrecht Hoffmann. Er selbst hätte das Berliner Original gern getroffen. „Zille hatte ein gutes Herz und war beliebt bei den Armen. Obwohl er selbst nicht zur Unterschicht gehörte. Ich hätte ihn gefragt, was ihn an dem Elend so gereizt hat.“

Heinrich Zille wird 1858 in Radeburg bei Dresden geboren. Er wächst in Berlin auf und beginnt 1872 eine Lithographenlehre. Abends nimmt er Zeichenunterricht bei Theodor Hosemann an der Königlichen Kunstschule. Ab 1877 verdient er sich seinen Lebensunterhalt bei der Photographischen Gesellschaft und stellt 1901 erstmals seine Zeichnungen in der Berliner Sezession aus. Als freischaffender Künstler wird er 1924 Professor und Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Mit dem Akademie-Vorsitzenden, dem Maler Max Liebermann, war Zille befreundet. Aber auch mit Otto Nagel und Käthe Kollwitz.

„Pinselheinrich“ nannten ihn nicht alle seine Zeitgenossen unbedingt liebevoll, sondern manche eher schmählich. Denn Zilles Bilder, Fotos und Zeichnungen stemmten sich gegen den Wilhelminischen Zeitgeist, dessen massive Industrialisierung, Urbanisierung und soziale Verelendung. Seine Feder führte er bis zu seinem Tod 1929 spitz und treffsicher. Beerdigt ist Zille, der in Charlottenburg wohnte und drei Kinder hatte, auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf. 1970 ernannten ihn der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung von Ostberlin posthum zum 80. Ehrenbürger der Stadt. Wegen seiner Verbundenheit mit den „Ausgebeuteten und Unterdrückten Berlins“ und für sein „humanistisch-realistisches Schaffen“.

Das Zille-Museum an der Propststraße 11 zeigt noch bis zum 23. April die Sonderausstellung „Zille heute“. 50 virtuose Werke bezeugen Zilles scharfe, kritische, aber auch humorvolle Beobachtungsgabe.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

52 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 67× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 874× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 553× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.050× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.939× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.