Thomas Jeutner ist seit 2013 Pfarrer der Versöhnungsgemeinde
Dass er eines Tages Pfarrer der Versöhnungsgemeinde sein würde, hätte Thomas Jeutner vor 25 Jahre nicht geglaubt. Seit August 2013 ist Jeutner der Seelsorger in der Bernauer Straße; predigt in einer Gemeinde, die durch den Mauerbau zerrissen wurde, deren Kirche plötzlich unerreichbar im Grenzstreifen stand und kurz vor dem Ende der DDR noch gesprengt wurde. Teile der Kirchentrümmer sind dem Lehm der Versöhnungskapelle beigemengt. Jeutner spürt jeden Tag die Kraft, die von diesem Ort ausgeht. Dass die "unmenschliche Mauer" gefallen ist, sei dem Mut vieler zu verdanken. Der Druck der Straße war Ende der 1980-er Jahre so groß geworden, dass die Grenzen schließlich geöffnet wurden. Jeutner war einer dieser vielen Bürgerbewegten, die den DDR-Staat schließlich zur Aufgabe zwangen. "Die Mauer hat mich immer beschäftigt", sagt der Pfarrer.
Journalismus konnte Jeutner in der DDR nicht studieren, weil er als Christ nicht auf eine marxistische Kaderschmiede wollte. So wurde er Fernmeldemechaniker bei der Reichsbahn und musste als Bausoldat schuften, weil er den Waffendienst verweigerte. Nachdem er aus gleichem Grund vom Elektronikstudium exmatrikuliert wurde, studierte Jeutner Theologie im Sprachenkonvikt in der Borsigstraße. Den Kirchturm der Versöhnungskirche hat er aus seinem Studentenzimmer immer gesehen. "Eingemauert im Grenzstreifen, das war ein Mahnzeichen" sagt Jeutner. Er hat für die Wochenzeitung "Die Kirche" geschrieben und Missstände benannt. 1988 ließen die DDR-Zensoren sogar fünfmal die komplette Auflage einstampfen. Den Untergang des Unrechtsstaates konnten sie da schon nicht mehr stoppen. Immer mehr Menschen wie Thomas Jeutner hatten ab Mitte der 1980er Jahre Druck in Oppositionsbewegungen gemacht, der zum Mauerfall führte.
Nach der Wende arbeitete Jeutner zehn Jahre lang als Pressepfarrer bei der Pommerschen Kirche in Greifswald. Von 2002 bis zu seinem Amtsantritt in der Versöhnungsgemeinde 2013 hat der 54-Jährige Stadtteilarbeit in einer Hamburger Gemeinde gemacht. Für die Stelle als Pfarrer der Versöhnungsgemeinde hat er sich beworben, "weil mich diese Nahtstelle zwischen Ost und West reizt." Jeutner ist hier aufgewachsen.
Seinen ersten Schritt in den Westen hat der Theologe in der Bernauer Straße gemacht. Am nächsten Tag nach der legendären Nacht des 9. November. Durch eine kleine Öffnung in der Mauer an der Oderberger Straße. Am Abend, als Günter Schabowski die berühmten Sätze sagte, die zur Ausreise Tausender führten, war Jeutner mit seiner hochschwangeren Frau gerade in der Oderberger Straße an der Mauer spazieren. Dass die Mauer auf ist, hörte er im Radio, das aus einem offenen Trabifenster die unglaublichen Nachrichten in den Herbstabend posaunte. Jeutners Bruder, der erst fünf Monate zuvor die DDR verlassen hatte, kam in der Nacht noch vorbei. "Wir haben uns umarmt und waren nur glücklich", sagt Thomas Jeutner. "Die Mauerfallgeschichte ist eine Bürgermutgeschichte." Darüber will der Pfarrer reden und den Besuchern und Gemeindemitgliedern von dem Mut und den Druck der Straße erzählen, der die Mauer zum Einstürzen gebracht hat.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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