Macht er Urlaub, fehlt etwas im Kiez
Canan Karacali betreibt seit 15 Jahren einen besonderen Spätkauf an der Karl-Marx-Straße

Ist so freundlich, wie er aussieht: Canan Karacali in seinem kleinen Laden. | Foto:  Schilp
2Bilder
  • Ist so freundlich, wie er aussieht: Canan Karacali in seinem kleinen Laden.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Er hält die Nacht am Laufen. Wenn andere Läden längst geschlossen sind, versorgt Canan Karacali die Nachbarn und Passanten mit Getränken, Süßigkeiten, Knabberzeug und Rauchwaren. Sein Späti an der Ecke Karl-Marx- und Reuterstraße ist jedoch weit mehr, nämlich eine unverzichtbare Anlaufstelle für die Kiezbewohner.

Canan Karacali ist geduldiger Zuhörer, wenn es einen Liebeskranken nicht mehr in den eigenen vier Wänden hält. Zahlungsunfähige Stammkunden dürfen anschreiben lassen. Der angetrunkenen Nachbarin, die den Taxifahrer nicht entlohnen kann, streckt er die Summe vor. Dem Asthmatiker rät er dringend, mit dem Rauchen aufzuhören, er möchte ihm lieber keine Zigaretten verkaufen. Er verwahrt Hausschlüssel, hilft mit einer Kopfschmerztablette, leitet Nachrichten weiter, bringt Menschen zusammen. Das alles mit tiefer Gelassenheit, Freundlichkeit und natürlicher Autorität. Macht er Urlaub, fehlt etwas.

Den Späti hat Canan Karacali vor 15 Jahren eröffnet. Auch zuvor arbeitete er fast immer nachts. Nach Berlin kam er 1982, gerade einmal 18 Jahre alt. Seine kaufmännische Ausbildung in der Türkei musste er abbrechen, die politische Situation unter der Militärjunta war unerträglich geworden. Der erste Job war aus der Not geboren. Weil Canan auf seine deutsche Arbeitserlaubnis warten musste, verdingte er sich in einem amerikanischen Club in Zehlendorf. Die Alliierten genossen Sonderrechte, hatten eine eigene Arbeitsvermittlung und stellten den jungen Mann ein. Canan erinnert sich an viele Partys der Militärs, allerdings auch daran, wie wenig er in der Küche verdiente.

Kein Frühaufsteher

Er wechselte in eine Batteriefabrik, setzte sich als Betriebsrat für bessere Arbeitsbedingungen ein. „Aber die großen Fische fressen immer die kleinen“, sagt er. Er stieg um und wurde Anfang der 2000er-Jahre Taxifahrer. Auch jetzt entschied er sich für die Nachtarbeit. Er sei nun mal kein Frühaufsteher und zu später Stunde sei auch der Verkehr ruhiger, sagt er. Die Wartezeiten vertrieb er sich mit Lesen, Radio hören und Gedichte schreiben.

Angst habe er eigentlich nie gehabt. Auch nicht vor den beiden glatzköpfigen jungen Männern, die kein anderer Kollege am Bahnhof Zoo mitnehmen wollte. Canan fuhr sie bis in ein kleines Dorf bei Erfurt. „Du kannst nicht immer nach dem Äußeren gehen“, sagt er. Vorsichtig war er trotzdem, einen ließ er vorne sitzen. „Ich war athletisch, zumindest den hätte ich schaffen können.“ Alles ging glatt, es gab sogar gutes Trinkgeld.

Mit Schweigepflicht

Großzügig zeigte sich auch eine Frau, die nach dem Einsteigen erst einmal auf "die Türken" schimpfte, weil sie schlechte Erfahrungen mit einem Mann gemacht hatte. Canan wollte sie davon überzeugen, dass es falsch ist zu verallgemeinern. „Ich glaube, ich konnte ihre Denkweise durchbrechen. Es ist mir wichtig, etwas gegen Ausländerhass zu tun.“ Auch mit Politikern machte er Erfahrungen, denn er war „Bundesstagsfahrer“ mit spezieller Genehmigung und Schweigepflicht. An den ehemaligen Arbeitsminister Norbert Blüm erinnert er sich beispielsweise gut. „Er war überhaupt nicht hochnäsig oder so“, erzählt Canan. Ganz anders ein bekannter Politiker einer anderen Partei, dessen Namen er nicht nennen will. Ihn holte er nachts aus einer berühmten Kneipe ab. Der Betrunkene wollte Canan 20 Cent Trinkgeld geben. Der lehnte freundlich ab: „Behalten Sie das Geld, vielleicht brauchen Sie es ja mal dringend zum Telefonieren.“ Überhaupt seien viele wohlhabende Menschen geizig, die kleinen Leute gäben mehr.

Canan Karacali vor seinem Spätkauf in der Karl-Marx-Straße 30. | Foto: Schilp
  • Canan Karacali vor seinem Spätkauf in der Karl-Marx-Straße 30.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Nach mehreren Jahren im Taxi versuchte Canan es mit einer Taverne, half seinem Bruder in dessen Nachtclub, arbeitete in einem Reisebüro. Doch nichts hatte Bestand. Also entschloss er sich zum Späti. Um den kümmert er sich ganz allein, transportiert die Einkäufe in seinem klapprigen Kleinwagen, sitzt bis zum frühen Morgen hinter dem Tresen. Nur manchmal legt er sich für zehn Minuten auf das Sofa im winzigen Nebenzimmer.

Klar, manchmal fühle er sich schon etwas einsam, räumt er ein. Aber nur, bis der nächste Kunde, Nachbar oder Kollege vom Restaurant nebenan auf einen Schwatz vorbeischaut. „Und ich lerne hier so viele Leute kennen, besonders nachts“, sagt er.

Canan Karacali hat es 2019 sogar auf die Kinoleinwand geschafft. Eine Kundin war so beeindruckt, dass sie ihm eine kleine Rolle in der Tragikomödie „Frau Stern“ vermittelte. Er spielte sich selbst, einen türkischen Späti-Betreiber. „Anatol Schuster, der Regisseur, hat gesagt, ich wäre ein Naturtalent.“ Beim Gedanken daran steigen ihm jetzt noch Freudentränen in die Augen.

Ist so freundlich, wie er aussieht: Canan Karacali in seinem kleinen Laden. | Foto:  Schilp
Canan Karacali vor seinem Spätkauf in der Karl-Marx-Straße 30. | Foto: Schilp
Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

25 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 485× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 502× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 480× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 336× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 519× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 832× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.