Migration ab Ruhleben
Die Ausstellung "Raus. Raus? Raus!" erinnert an das ehemalige Auswandererlager

Ein abgeschlossenes Terrain. Szenen vom Auswandererbahnhof Ruhleben.  | Foto:  Thomas Frey
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  • Ein abgeschlossenes Terrain. Szenen vom Auswandererbahnhof Ruhleben.
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Koffer und Taschen sind nicht nur Urlaubsgepäck. Auch wer dauerhaft seinen Wohnort wechselt oder wechseln muss, verpackt seine Habe darin.

Koffer, Taschen, Tragen oder Rucksäcke spielen daher in der Ausstellung "Raus. Raus? Raus!" im Zeughaus der Zitadelle eine wichtige Rolle. Sie thematisiert ein kaum bekanntes Kapitel der Migrationsgeschichte, das zwischen 1891 und 1914 im Auswandererlager in Ruhleben spielte.

Laut einer Statistik, die auf einer Tafel in der Ausstellung zu sehen ist, verließen zwischen 1871 und 1914 mehr als 5,3 Millionen Menschen aus Osteuropa ihre Heimat. 2,3 Millionen davon kamen aus den Gebieten des damaligen russischen Reichs, 2,9 Millionen aus den Ostprovinzen der österreichisch-ungarischen Monarchie. Vertrieben wurden sie wegen wirtschaftlicher Not, aber auch wegen Diskriminierung, Bedrohung und Gewalt, der vor allem die jüdische Bevölkerung ausgesetzt war. Die drei Worte "Raus. Raus? Raus!", versehen mit verschiedener Interpunktion, stehen deshalb für gewollte wie erzwungene Migration. Osteuropäische Juden waren die größte Gruppe der Auswanderer, gefolgt von Polen. Das Ziel der meisten war Amerika und hier die Vereinigten Staaten.

Das Ziel ließ sich über die deutschen Nordseehäfen erreichen. Um dorthin zu gelangen, war in der Regel eine Bahnfahrt durch die preußischen Landesteile des deutschen Kaiserreiches nötig. Da die Eisenbahnlinien auf Berlin ausgerichtet waren, führte die Reise zwangsläufig über die Hauptstadt. In Berlin und auch im damals noch selbstständigen Spandau sorgte der unkontrollierte Zustrom mit der Zeit für Probleme. Er sollte deshalb organisiert werden. Das Ergebnis war ein Auswandererlager.

Zunächst befand es sich 1890 für kurze Zeit in Charlottenburg. Bereits ein Jahr zog es zum Rangierbahnhof in Ruhleben um. Das Gebiet lag idealerweise an der Fernbahnstrecke und am Rande der Hauptstadt. Das waren gute Voraussetzungen, um die Migranten hier zentral aufzunehmen und weiter zu leiten. Das Lager war durch einen Zaun sowie die Bahngleise von der Außenwelt abgeriegelt. Es gab mehrere große Unterkünfte, die bis zu 200 Personen fassten. Eine war speziell für jüdische Auswanderer reserviert. Auch an die ärztliche Vesorgung war gedacht. Die Menschen wurden auf zahlreiche Krankheiten untersucht: von Pocken über Diphterie bis Syphilis.

Der Medizincheck geschah nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit. Die Lagerbewohner sollten keine Krankheiten einschleppen. Sie sollten auch schnell und ohne Probleme Berlin und das Deutsche Reich verlassen. Voraussetzung war natürlich,dass sie das Geld für die Tickets aufbringen konnten. Ihre Weiterfahrt erfolgte mit speziellen Zügen ab Bahnhof Ruhleben.

Die Migranten waren ein wichtiges Klientel für die Reedereien. Ohne die Passagiere auf dem Zwischendeck seiner Schiffe wäre sein Unternehmen in wenigen Wochen bankrott, wird Albert Ballin zitiert, in der damaligen Zeit Chef der Reederei Hapag. Auf dem Zwischendeck oder auch dem Unterdeck der Schiffe, eng zusammengepfercht, verbrachten die Auswanderer die Zeit der Überfahrt. Die große Zahl an Passagieren sicherte lukrative Einnahmen.

Fast ein Vierteljahrhundert lief so die Auswanderung über Deutschland und das Geschäft damit. Die Zahlen bewegten sich jedes Jahr um oder oberhalb eines sechsstelligen Bereichs. Sie erreichten 1913 mit mehr als 193 000 Personen ihren Höhepunkt. Zu diesem Zeitpunkt stand das Lager in Ruhleben bereits vor dem Aus. Die Besiedelung war in diese Gegend vorgerückt. 1908 wurde in der Nähe die Trabrennbahn eröffnet. Zudem beanspruchte das Militär die Fläche, um eine Schienenverbindung zu den Spandauer Rüstungsfabriken zu legen.

Geplant war, das spezielle Durchgangszentrum nach Wustermark im Havelland zu verlegen. Dazu kam es nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 nicht mehr. Die britische Seeblockade brachte den Schiffsverkehr zum Erliegen. Ein Auswandern war kaum mehr möglich und fand auf diese Weise in den folgenden Jahrzehnten nicht mehr statt.

Das einstige Areal des Auswandererlagers, das sich entlang der Straße Freiheit befand, diente danach vielen Zwecken und ist heute vor allem Gewerbegebiet. Letzte Gebäudereste haben bis vor einigen Jahren existiert, wurden dann aber abgerissen.In der Ausstellung geht es aber nicht nur um diese inzwischen weit zurückliegende Geschichte. Sie spannt vielmehr einen Bogen bis zur aktuellen Migration. Die Geflüchteten dieser Tage kommen vor allem aus der Ukraine. Sie stammen zum Teil aus Gegenden, aus denen auch vor mehr als 100 Jahren Menschen aus anderen Gründen ihre Heimat verließen.

Die Ausstellung "Raus. Raus? Raus!" ist bis zum 30. April 2023 im Zeughaus auf der Zitadelle zu sehen. Die Öffnungszeiten sind Freitag bis Mittwoch von 10 bis 17, Donnerstag, 13 bis 20 Uhr. Der Eintritt kostet 4,50, ermäßigt 2,50 Euro. Mehr Informationen zur Ausstellung gibt es auf www.zitadelle-spandau.de.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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