Lüderitz und Nachtigal sollen weg: Belastete Namen im Afrikanischen Viertel sollen verschwinden
Wedding. Nach jahrelangen Debatten um die Umbenennung der Straßen im Afrikanischen Viertel startet das Bezirksamt jetzt das Änderungsverfahren.
Mit etwas Verspätung startet Kulturstadträtin Sabine Weißler (Grüne) jetzt die Namensdebatte und ruft die Bürger auf, Namensvorschläge für zwei Straßen im Afrikanischen Viertel zu machen. Damit setzt das Bezirksamt einen BVV-Beschluss vom März 2016 um. Die Bezirksverordneten wollen die Petersallee, die Lüderitzstraße und den Nachtigalplatz umbenennen. Die Petersallee, 1939 nach dem Kolonialpolitiker und Unternehmer Carl Peters benannt, wurde 1986 auf Drängen der Anwohner bereits umgewidmet und ehrt seitdem den NS-Widerstandskämpfer und CDU-Politiker Hans Peters. Die Straße stelle laut Bezirksamt einen Sonderfall dar, teilte Weißler bereits im Dezember in einem Anwohnerschreiben zu den geplanten Umbenennungen mit. Die geforderte Umbenennung der Petersallee werde derzeit rechtlich geprüft.
Bis zum 25. Februar können Vorschläge beim Bezirksamt für zwei von 22 Straßen im Afrikanischen Viertel eingereicht werden, die Namen von Vertretern des deutschen Kolonialismus tragen. Die Namen Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal schaden laut BVV-Beschluss „dem Ansehen Berlins und sind mit dem heutigen Demokratieverständnis nicht mehr im Einklang.“ Eine Jury, bestehend aus Bezirksamt, Mitgliedern der BVV, Aktiven der Afrikanischen/Postkolonialen Community und weiteren Initiativen, soll die Vorschläge auswählen. Allerdings gibt es klare Vorgaben für die gewünschten neuen Straßennamen. Sie sollen „Persönlichkeiten – insbesondere Frauen – der (post-)kolonialen Befreiungs- und Emanzipationsbewegung aus Ländern Afrikas ehren“, heißt es in Weißlers Aufruf.
Das Afrikanische Viertel in Wedding ist das größte seiner Art in Deutschland mit kolonialen Namensgebungen. Zwischen 1899 und 1958 wurden hier „viele Straßen im Geiste kolonialer Bestrebungen und Träume nach Orten und Ländern in Afrika benannt“, wie das Bezirksamt den Anwohnern Anfang Dezember in einem Anwohnerschreiben erklärte. Insgesamt 25 Straßen sind im Afrikanischen Viertel nach afrikanischen Ländern, Städten und Flüssen, Kolonialstützpunkten und Kolonialherren benannt. Die Straßen wurden jedoch nicht nur nach ehemaligen deutschen Kolonien benannt. Die Benennungen erfolgten in der Kaiserzeit, als das Deutsche Reich noch im Besitz eines Teils der Gebiete war, aber auch in der Zeit der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und noch in den 1950er-Jahren.
Seit Jahren gibt es Versuche, die Straßennamen zu ändern. SPD, Grüne, Linke und Piraten hatten 2016 beschlossen, zumindest drei Namen zu ändern. Nur die CDU war dagegen. Für die Christdemokraten war der Verzicht auf Straßenumbenennungen 2011 sogar Bedingung in der Zählgemeinschaftsvereinbarung mit der SPD. Als Kompromiss wurde 2012 an der Müllerstraße Ecke Otawistraße eine Infotafel zur Geschichte der Straßennamen und der Kolonialzeit aufgestellt. Über die Inhalte wurde lange gestritten. Es gibt einen Text der BVV und einen Text afrikanischer Organisationen, der mehr die Brutalität und Verbrechen der deutschen Eroberer betont. Die BVV hatte 2011 auch beschlossen, „das Afrikanische Viertel zu einem Lern- und Erinnerungsort“ zu machen.
Jetzt sollen vorerst die Lüderitzstraße und der Nachtigalplatz neue Namen bekommen. Er ist nach dem Afrikaforscher und Kolonialpolitiker Gustav Nachtigal benannt, die Lüderitzstraße nach dem Kaufmann Adolf Lüderitz, der in der früheren Kolonie Deutsch-Südwestafrika im heutigen Namibia aktiv war.
Die Anwohnerinitiative Pro Afrikanisches Viertel (IPAV) hatte 2016 einen Kompromissvorschlag gemacht: Der Nachtigalplatz wird zum Nachtigalplatz, die Lüderitzstraße zur Lüderitzstraße. Statt wie bisher dem Afrikaforscher und Kolonialpolitiker Gustav Nachtigal, soll der Nachtigalplatz dem Theologen und Schriftsteller Johann Karl Christoph Nachtigal gewidmet werden, so die Idee. Alter Name, neue Bedeutung – damit wären kostenintensive Änderungen nicht nötig. Die Lüderitzstraße soll nicht mehr nach Adolf Lüderitz heißen, sondern nach der nach ihm benannten Hafenstadt Lüderitz. Die IPAV argumentiert damit, dass 2013 im namibischen Lüderitz selbst ein ähnlicher Umbenennungsversuch für die Hafenstadt gescheitert war.
Ein Anwohner aus der Lüderitzstraße findet die Idee gut. Er habe bei seiner Recherche über Adolf Lüderitz nichts Schlimmeres gefunden, als dass dieser sich in der damaligen deutschen Kolonie „betrügerisch Land angeeignet hat“. Man müsste nur ein „er“ anhängen, um aus der Lüderitzstraße eine Lüderitzer Straße zu machen, so der Anwohner. Für den Nachtigalplatz hat er auch einen Buchstaben. Mit einem zusätzlichen L würde aus dem Kolonialpolitiker ein Vogel. DJ
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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