Inklusionsmanager im Interview
„Inklusion ist kein Gefallen, sondern ein Menschenrecht“

Tim Tschauder hat als Integrationsbeautragter des Landesportbunds Berlin noch viele Bretter zu bohren. | Foto: Privat
  • Tim Tschauder hat als Integrationsbeautragter des Landesportbunds Berlin noch viele Bretter zu bohren.
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Berlin will als Gastgeberstadt der Weltspiele mit Hilfe eines Inklusionsmanagers beim Landessportbund den Schwung dieser Spiele für mehr inklusive Sportangebote auch in der Zukunft nutzen. Tim Tschauder, 48, arbeitete viele Jahre im Sportmarketing, unter anderem für die Krankenkasse AOK. Er ist selbst passionierter Breitensportler und seit Mai 2021 Inklusionsmanager beim Landessportbund Berlin. Tom Mustroph vom Redaktionsteam der Special Olympics World Games Berlin 2023 sprach mit ihm.

Was genau macht der Inklusionsmanager des LSB Berlin?

Tim Tschauder: Die Stelle als Inklusionsmanager ist Teil des Projekts "Inklusion ´23", das vom  Senat in Vorbereitung der Weltspiele ins Leben gerufen wurde, um nachhaltige Strukturen für die Inklusion zu entwickeln. Der Landessportbund, der Behindertensportverband und Special Olympics Berlin haben sich zusammengesetzt und gesagt: Wir brauchen eine Schnittstelle in Berlin für den inklusiven Sport. Dementsprechend wurde diese Position geschaffen.

Was genau ist Ihre Aufgabe?

Tim Tschauders: Es handelt sich um mehrere Ebenen. Zum einen geht es darum, Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Trainer in den einzelnen Sportvereinen zu entwickeln, die sich fragen: Wie mache ich denn das? Wie fange ich überhaupt mit inklusivem Sport an? Wie gehe ich beispielsweise mit einem Kind mit Autismus um, das in meinem Schwimmverein mitschwimmen möchte? Für solche Fragen entwickeln wir verschiedene Fortbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen.

Wie viele gab es da bisher? Wie viele Trainer haben Sie bisher erreicht?

Tim Tschauder: Das sind verschiedene Angebote. Wir haben immer im Herbst unseren „Fachtag Sport inklusiv“. Dieses Jahr hatten wir dort 15 Workshops zu Theorie und Praxis des inklusiven Sports. Wir gehen aber auch ganz sportartspezifisch vor, zum Beispiel bieten wir dort Fechten, Boccia und Walking Football an. Es geht aber auch um Themen wie Leichte Sprache oder wie funktioniert Inklusion überhaupt? Einmal im Jahr treffen wir uns zweieinhalb Tage in Rheinsberg mit Verantwortlichen aus dem Vereins- und Verbandsmanagement und erörtern Fragen wie: Wie kriege ich meinen Verein oder Verband inklusiv aufgestellt? Wie erreiche ich Barrierefreiheit bei uns? Wo gibt es Fördermittel? Es gibt darüber hinaus viele weitere Fortbildungsmöglichkeiten, die wir gemeinsam mit unseren Partnern entwickeln.

Sie erwähnten bereits das Thema Barrierefreiheit. Das ist ja oft auch ein ganz reales bauliches Problem. Wie gehen Sie damit um? Was kann ein Inklusionsmanager bei Sportstätten, die bereits bestehen, überhaupt erreichen?

Tim Tschauder: Das ist eine ganz wichtige Aufgabe für uns, die wir in enger Zusammenarbeit mit dem Behindertensportverband, mit Special Olympics Berlin und dem Netzwerk Sport und Inklusion angehen. Dort sind viele Menschen involviert, die sich dem inklusiven Sport verschrieben haben. Unser Ziel ist es, dass wir vor allem in Politik und Verwaltung gehört werden, damit Neubauten oder Sanierungen von Sportstätten barrierefrei erfolgen.

Wird das schon automatisch mitgedacht? Immerhin sahen der Koalitionsvertrag der alten wie der neuen Berliner Regierung ja bereits Inklusion im Sport ausdrücklich vor.

Tim Tschauder: Leider ist es nicht immer der Fall, dass gleich daran gedacht wird. Deshalb haben wir aus dem Netzwerk heraus auch einen Kriterienkatalog für inklusiv nutzbare Sportstätten entwickelt. Und wir pochen darauf, dass der Verwendung findet, wenn es um neue Sportstätten oder um Sanierung geht. Denn es reicht einfach nicht, nur laut DIN-Norm barrierefrei zu bauen, sondern man muss viel mehr bedenken.

Können Sie da Beispiele nennen, was konkret bedacht werden muss?

Tim Tschauder: Barrierefreiheit bedeutet mehr als einfach nur Stufenlosigkeit. Da muss man viel mehr bedenken. Zum Beispiel, dass es Wegeleitungen gibt für Menschen mit Sehbehinderung, dass es akustische und optische Signale gibt in Sporthallen bei Feueralarm oder den Pausengong. Denn wenn es keine optischen Signale in der Umkleidekabine gibt, bekommen taube Menschen zum Beispiel einen Feueralarm nicht mit. Ein weiteres Problem ist, dass Informationen oft viel zu kompliziert bereitgehalten werden. Es gibt wahnsinnig viel, was man berücksichtigen muss und vieles davon wird leider einfach vergessen, weil diejenigen, die das wissen, also die selbst Betroffenen im inklusiven Sport, einfach nicht gefragt werden. Das ist ein großer Fehler und wir sind sehr engagiert, das jetzt zu ändern, dass das in den Planungen berücksichtigt wird und die Experten mit einbezogen werden.

Auf welches Feedback stoßen Sie da bei Sportvereinen, aber auch bei den Baubeauftragten? Sagen die vielleicht: Okay, die Rampe ist ja eingezeichnet, aber irgendwelche Schilder und Tonsignale gibt das Budget einfach nicht her. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Tim Tschauder: Die Erfahrung, die wir machen, ist so, dass keiner direkt sagt: ‚Nein, das geht nicht.‘ Beim Thema Inklusion hören alle eigentlich immer irgendwie zu. Ob es auch umgesetzt wird, ist dann eine andere Frage. Zu den Kosten kann ich Ihnen nur sagen, dass es deutlich günstiger ist, wenn man eine Halle oder eine Sportstätte von Anfang an barrierefrei plant, als wenn man später nachbessern muss. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Ich möchte auch daran erinnern: Barrierefreiheit ist nicht ein Gefallen, den man irgendjemandem tut, sondern das ist ein Menschenrecht! Und insofern beharren wir auch darauf, dass barrierefrei gebaut wird.

Was ist in Berlin geplant? Wie viele barrierefreie Sportstätten sollen in nächster Zeit errichtet oder umgebaut werden?

Tim Tschauder: Im Koalitionsvertrag steht, dass wir pro Bezirk zwei inklusive Sportstätten bauen und mit dem Jahn-Sportpark einen inklusiven Sportpark in die Mitte von Berlin kriegen.

Inklusive Sportstätten sind das eine. Auf welche Resonanz stoßen Sie bei Trainern, wenn es um Inklusion im Trainings- und Wettkampfalltag geht? Besteht da eine große Bereitschaft? Oder ist auch Skepsis ausgeprägt, weil man ohnehin schon genug gefordert ist mit den Sportlern, die man aktuell betreut und als ehrenamtlicher Übungsleiter ja auch selbst nur über begrenzte Ressourcen verfügt?

Tim Tschauder: Ja, das sind die großen Themen: Ehrenamt und Kapazitäten und wie bekomme ich das noch zeittechnisch unter, wenn wir jetzt von Sport mit Menschen mit Beeinträchtigung sprechen? Viele stellen sich auch die Frage: Kann ich das überhaupt? Und dann gibt es einfach auch ganz unterschiedliche Typen: Menschen, die sagen, bei mir kann jeder vorbeikommen und mitmachen, dann schauen wir mal, ob es klappt. Und andere, die größere Zweifel haben und sagen: Das kann ich nicht leisten, das traue ich mir nicht zu. Es ist es unsere Aufgabe, durch unsere Qualifizierungsmaßnahmen und Beratungsgespräche Hilfestellung zu geben. Wir sprechen auch direkt mit Vereinen und Verbänden, mit Trainerinnen und Trainern, um solche Fragen zu klären. Und wenn Sie nach der Bereitschaft fragen: Die gibt es definitiv.

Gibt es schon gute Beispiele?

Tim Tschauder: Es gibt hier Vereine, die schon ganz fantastisch unterwegs sind wie Pfeffersport, der Sportclub Lebenshilfe oder die Karower Dachse, um nur einige zu nennen. Was wir versuchen, ist auch, solche Best Practice Beispiele anderen zu zeigen, die selbst Interesse haben und da eine Verbindung herzustellen. Die Spannweite des Betreuungsaufwands ist ja auch sehr groß. Es kann sich um ein Kind mit einer Beeinträchtigung in einer Sportgruppe handeln, für das es überhaupt keinen Betreuungsaufwand braucht, weil das Kind völlig selbstständig ist. Ich kann aber auch ein Kind haben, das einen sehr hohen Betreuungsaufwand hat und das sich vielleicht auch mal auf den Boden schmeißt und anfängt zu schreien. Da brauche ich als Trainer eine ganz andere Herangehensweise. Und auch da versuchen wir Hilfestellung zu leisten.

Was sind mittel- und langfristige Ziele Ihrer Arbeit als Inklusionsmanager?

Tim Tschauder:
Wir wollen vor allem in alle Bezirke hineinreichen. Ich möchte das jetzt nicht an Zahlen festmachen. Aber Wohnortnähe ist ein sehr wichtiges Thema, gerade im inklusiven Sport. Es bringt zum Beispiel jemanden, der mobilitätseingeschränkt ist und in Lankwitz, im Südwesten Berlins, wohnt, wenig, wenn es ein Schwimmangebot in Hohenschönhausen, also im Nordosten der Stadt, gibt. Es ist zwar toll, solch ein Schwimmangebot in Hohenschönhausen zu haben, aber das hat dann eben auch nur eine gewisse Reichweite. Und unser Ziel ist es, in Berlin flächendeckend Vereine zu finden, die inklusive Angebote über viele Sportarten hinweg anbieten. Wir wollen eine selbstbestimmte Teilhabe ermöglichen, damit ein Sport interessierter Mensch die Wahl hat und nicht nur das sozusagen ‚nehmen muss‘, was es in der Nähe gibt. Das andere große Ziel ist, dass uns Politik und Verwaltung helfen, Barrieren abzubauen. Denn was bringt mir ein Verein, der das Interesse hat, ein inklusives Angebot aufzustellen, wenn die Sporthalle, in der der Verein angesiedelt ist, kein barrierefreies WC hat oder die Sportler Stufen überwinden müssen? Auch der Weg von der S-Bahn-Station zur Sportstätte ist oft ein Problem. Unser Ziel ist, dass wir in allen Bezirken sagen können: Okay, hier kann man Sport treiben und hat auch eine gewisse Auswahl.

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Lokalredaktion aus Mitte

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