Die Industrie gewinnt in Berlin wieder an Bedeutung
Déjà-vu am Morgen: "Hier bin ich schon einmal gewesen", sagt Cornelia Yzer, als die gläserne Tür des Luisen Carees hinter ihr zuschwingt. Für die neue Senatorin ist das Gewerbehaus an diesem Tag die erste von vier Station im Rahmen einer Rundfahrt, die aufzeigen soll, wie Industrie in Berlin anno 2012 funktioniert. Wie sie jetzt und in Zukunft Arbeitsplätze schafft.Station Nummer eins, das ist die "Mivenion GmbH", sesshaft am Robert-Koch-Platz im Luisen Caree. Genau wie ein anderes Medizin-Unternehmen, das Yzer schon einmal besucht hat. Wenn man 15 Jahre lang als Hauptgeschäftsführerin in Diensten des Verbands forschender Arzneimittelhersteller stand, wirkt dies nach. Lobbyistische Vergangenheit, unkten die Kritiker bei ihrer Nominierung. Cornelia Yzer hält dagegen, indem sie mitredet, wo Unkundige nur nicken könnten.
Schmerzen sehen
Sie weiß, wovon "Mivenion"-Direktor Malte Bahner spricht, wenn er das Spitzengerät seines Unternehmens im fachmännischen Deutsch präsentiert: Eine Maschine, welche die Hände von Rheumapatienten durchleuchtet und auf dem Bildschirm die Blutansammlung in den Fingerknöcheln als farbige Wolken zeigt. Für alle Laien erklärt es Bahner dann noch etwas griffiger: "Sie können ihre Schmerzen sehen." Dass die Maschine namens Xiralite schon bald auch in den USA und China als Aushängeschild für Medizin-Technik "made in Berlin" gelten wird, davon ist man im 16-köpfigen Unternehmen überzeugt. "Unser Verfahren ist zuverlässig auswertbar, und es ist patientenfreundlicher als frühere", so Bahner.
2007 kehrten die Spezialisten von "Mivenion" dem Branchenriesen Bayer-Schering den Rücken, entwickelten Bewährtes weiter in eigener Regie. Erfolg durch Ausgründung - ein Model mit Zukunft? Cornelia Yzer sagt ja: "Kleine Unternehmen sind die großen von morgen. Und sie geben der Wirtschaft Schübe." Will heißen: Wo sich die erfolgreichsten Kleinen ansiedeln, da ziehen auch diejenigen nach, die nicht nur einzelne Arbeitsplätze schaffen, sondern Hunderte. Was die zur Besichtigung ausgewählten kleinen Firmen "Mivenion", "Yacoub" und "inpro" aus Sicht der Senatorin richtig machen, ist die Ausrichtung auf den Export. "Es hat keinen Sinn mehr, sich nur lokal aufzustellen", stellt Yzer fest. Die Globalisierung wird nicht warten. Auch nicht auf eine ehemals gespaltene Stadt.
Spezialisierung und Forschung
Mehr Internationalität, mehr Spezialisierung, mehr Nähe zur Forschung: So sieht sie aus, die Kur für den schwer gebeutelten Standort Hauptstadt. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) spricht in ihrer Broschüre "Deutsche Einheit in Berlin" von einem Rückgang der Industrie-Arbeitsplätze von 314 000 im Jahr 1991 auf knapp 130 000 in 2009. Anzeichen der Besserung kann die Senatswirtschaftsverwaltung aber ebenfalls statistisch belegen: 9,3 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung erzielte die Industrie 2011. Durch die Steigerung von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr habe man das Vorkriegsniveau wieder erreicht. Auch bei den Jobs vermeldet man ein Plus: Rund 4000 mehr gegenüber 2007.
Wer heute in Berlin etwas Zukunftsweisendes produziert, werkelt immer öfter im Labor. Mehr weiße Handschuhe, weniger schwielige Hände. So wie beim Autoteile-Spezialisten "inpro", der im Spreebogen neue Herstellungsverfahren für Konzerne wie Volkswagen und Daimler erprobt. So wie beim Automationsspezialisten "Yacoub."
Sieben Prozent Weltmarktanteil
Cornelia Yzer steht in einem Weddinger Gewerbehof, wo hinter Klinkerfassaden der neue Zeitgeist wohnt, die Lastenkräne hingegen verrotten. Hier empfängt sie Firmenchef Talat Yacoub, um vorzuführen, wie er mit seinem Team aus 35 Ingenieuren Steuergeräte etwa für Klimaanlagen und Brandschutzsysteme entwirft. Sieben Prozent Weltmarktanteil habe er sich erkämpft in einer Sparte mit höchsten Ansprüchen an die Sicherheit, sagt der gebürtige Iraker. "Wenn unsere Geräte versagen, könnten Menschen zu Schaden kommen."
Gasturbine für die Türkei
Yacoub lässt Yzer ein Plastikmodul in seine Buchse rasten. So simpel das graue Gehäuse wirkt, wenn sein Inhalt versagt, droht die Explosion. Was sich der Hersteller wünscht, sind noch bessere Kontakte zur Forschung. Neuestes Fachwissen an Hochschulen ist vorhanden, keine Frage. Aber für die Weitergabe zum Unternehmen - "dafür ist Berlin manchmal zu groß". Schiere Größe, das wird dann noch einmal Thema an diesem Tag. Ortstermin am Westhafen. Siemens hat eine gewaltige, trommelförmige Gasturbine aus dem Werk gerollt. Schwer wie ein Langstreckenflugzeug, geeignet zur Stromversorgung einer ganzen Stadt, klar zum Verschiffen in die Türkei. Hier protzt die Berliner Industrie nach alten Tugenden, hier schuften Männer noch an hallenhohen Maschinen. Das Moabiter Werk bekam nun endlich, was es so dringend brauchte: eine Verladerampe. Ab heute wandern die Siemens-Turbinen über eine fahrbare Bühne 700 Meter von der Fabrik direkt in den Schiffsrumpf hinab. Vorbei sind die nächtlichen Schwertransporte über öffentliche Straßen.
Freie Gewerbeflächen
Ein Festakt mit Signalwirkung. Und prompt nutzt Yzer die Gelegenheit, schwingt sich ans Rednerpult, ruft nach Investoren: "Keine europäische Hauptstadt hat mehr freie Gewerbeflächen", preist die Sauerländerin ihre Wahlheimat an. Das Turbinengehäuse ist noch gar nicht im Schlund des Spezialschiffs verschwunden, doch Yzer bricht schon wieder auf. Die nächsten Firmenchefs warten schon.
Eine Stunde später: Es ist Mittag, die Führung durch Produktionssäle, das abermalige Abfragen von Erfolgen und Problemen, diesmal bei "inpro", droht den Zeitplan zu sprengen. Da klinkt sich die Senatorin aus. Sie bricht auf zum fünften Termin des Tages. Es gilt den Standort Berlin auf Hoheitsgebieten anderer Staaten zu bewerben. Cornelia Yzer spricht vor in der Botschaft der USA.
Gründern gehört die Zukunft
Leser befürworten Unterstützung für kleinere Unternehmen
Eine klare Mehrheit von 93 Prozent der Teilnehmer sprach sich bei der Frage der Woche für eine noch intensivere Förderung von Betrieben mit einer geringen Zahl von Beschäftigten aus.
Der Senat betrachtet die Stadt schon jetzt als "Gründungsmetropole". Nachdem einstmals in Berlin beheimatete, große Unternehmen geschlossen haben, mussten mittelständische und kleine die Lücke schließen. Wie dies in den letzten Jahren gelang, zeigt ein Blick auf die Neugründungen. So kamen allein in der ersten Hälfte dieses Jahres auch dank finanzieller Zuschüsse 6879 Unternehmen hinzu. Darunter viele in wissenschaftlichen und technischen Bereichen. Laut Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) wird es entscheidend für deren wirtschaftliche Entwicklung sein, die aufgestellten Masterpläne weiterzuverfolgen. Etwa den, der die Nachnutzung des Flughafens Tegel als Technologiepark betrifft. "Wir müssen die Pläne jährlich überprüfen - auf Erfolg oder Nichterfolg", sagt Yzer. Was kleinere Unternehmen leisten können, beweist die Firma "inpro" in Charlottenburg. Deren Spezialisten für Fertigungstechnik im Automobilbau entwickelten unter anderem die Heckklappe für den VW Golf und beweisen, dass man nicht unbedingt eine Autofabrik vor Ort haben muss, um in diesem Schlüsselbereich der Industrie erfolgreich zu sein.
Zehn Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung in Berlin erzeugte die Industrie 2011. Dies entspricht einer Bruttowertschöpfung von 9,3 Milliarden Euro. Damit hält Berlin zwar Anschluss an Hamburg, den zweitgrößten Stadtstaat, liegt aber klar unter dem Bundesdurchschnitt. Der Senat verweist hingegen auf ein solides Wachstum, getragen von der Innovationsfähigkeit der Berliner Unternehmen. Laut einem aktuellen Bericht der Senatswirtschaftsverwaltung sind gegenüber dem Jahr 2007 knapp 4000 sozialversicherungspflichtige Industrie-Arbeitsstellen neu entstanden.
Anders als nach der Wendezeit spielt heute der Export eine große Rolle. Von den 25 Milliarden Euro Umsatz 2011 wurden 45 Prozent im Ausland erzielt. Damit liegt die Quote dreimal so hoch wie Mitte der 90er-Jahre.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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