"Reinigungskosten explodieren"
Bezirk setzt auf Mehrweg

Auf dem Weg zum Mehrweg: Maximilian Mauracher und Clara Herrmann mit den Eickers vom Poké Pelelina (v.l.). | Foto: Ulrike Kiefert
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  • Auf dem Weg zum Mehrweg: Maximilian Mauracher und Clara Herrmann mit den Eickers vom Poké Pelelina (v.l.).
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Restaurants, Cafés oder Bäckereien sollen auf Mehrweg-Verpackungen umsteigen. Friedrichshain-Kreuzberg will das als „Zero Waste Bezirk“ fördern und hatte darum Anfang des Jahres mit Partnern ein Mehrwegprojekt an zwei Hotspots gestartet. Jetzt zogen die Macher Halbzeit-Bilanz.

Überfüllte Mülleimer durch Verpackungsmüll, liegen gelassene Pizzakartons und to-go-Becher: Friedrichshain-Kreuzberg beklagt wie andere Bezirke schon länger den achtlosen Umgang vieler Parkbesucher mit der Natur. „Der Müll in unseren Grünanlagen ist enorm gestiegen“, muss Bürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) feststellen. „Alle zwei Stunden werden Einwegbecher weggeworfen. Das sind so viele, damit könnte man den Fernsehturm eindecken.“

Ungesund ist der Verpackungsmüll nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Bezirkskasse. „Unsere Reinigungskosten explodieren.“ Die Rathauschefin nennt Zahlen. Musste das Bezirksamt 2016 für das Sauberhalten seiner Parks und Spielplätze noch rund 450 000 Euro ausgeben, waren es zuletzt mehr als 650 000 Euro – und das, obwohl einige Grünanlagen mittlerweile die BSR reinigt.

Doch wie lässt sich das Problem lösen?

Viele Menschen werden ihre Pizza oder den Salat auch künftig auf Parkbänken essen. Und an sonnigen Wochenenden werden die Abfalleimer weiter überquellen. „Der beste Müll ist der, der gar nicht entsteht“, sagt Clara Herrmann. „Mit dem konsequenten Einsatz von Mehrweg-Lösungen können wir zeigen, dass es auch ohne Müllberge geht.“ Das Bezirksamt hat darum im Januar gemeinsam mit dem Verein „Circular Berlin/Circular City – Zirkuläre Stadt“ und der Agentur New Standard.Studio ein Mehrwegprojekt an den Hotspots rund um die Admiralbrücke in Kreuzberg und den Boxhagener Platz in Friedrichshain gestartet. Gezielte Maßnahmen sollen dem Thema Mehrweg mehr Aufmerksamkeit schenken: bei Gastrobetrieben, Bäckereien, Kiosken und Standbetreibern. „Wir informieren die Gastronomen bei Beratungsgesprächen über die Möglichkeiten, auf Mehrwegoptionen umzusteigen und unterstützen sie auf Wunsch dabei“, erklärt Projektleiter Maximilian Mauracher die zwei Hauptziele des Projektes. Öffentliche Aktionen wie Clean-up-Days, Plakate oder Infostände von Mehrweg-Anbietern auf dem Wochenmarkt am Boxhagener Platz sollen wiederum die Berliner motivieren, zu Mehrweg statt zu Einweg zu greifen.

Halbzeitbilanz: erfreulich, aber ausbaubar

Jetzt, zur Halbzeit des Projektes, zog Mauracher Bilanz. 100 Gastrobetriebe an den zwei Hotspots wurden mit Projektbeginn befragt. „Nur 30 Prozent kannten Mehrweg-Optionen.“ Viele Beratungsgespräche später sind es inzwischen 65 Prozent. Etwa die Hälfte der Gastronomen gab an, von ihren Kunden gezielt nach Mehrwegprodukten gefragt zu werden. Im Januar waren es nur 27 Prozent. Die meisten Gastrobetriebe akzeptieren demnach mittlerweile auch, mitgebrachte Mehrweg-Schüsseln oder Becher ihrer Gäste zu befüllen. Und: „Von 290 Betrieben an den Hotspots haben 14 inzwischen Mehrweg-Lösungen eingeführt“, sagt Maximilian Mauracher. Acht in Kreuzberg und sechs in Friedrichshain. Andere seien gerade dabei oder überlegten noch, denn was viele abschrecke, sei der Aufwand, ihr Geschirr auf wiederverwendbares Mehrweg umzustellen. „Auch die Hygiene bei mitgebrachten Behältern spielt eine Rolle“, so Mauracher. Und der Kostenfaktor. Wobei Mehrweg langfristig deutlich günstiger sei als Einweg.

Schüsseln gegen Pfand

Zwei, die das bestätigen, sind Isabella Maria und Florian Konstantin Eicker vom „Poké Pelelina“ im Graefekiez. Für ihre Bowls führten die Gastronomen schon Mitte 2020 ihr eigenes Mehrweg-System ein. „Die Schüsseln gaben wir gegen Pfand an unsere Stammkunden ab, 28 Leute haben das genutzt und es hat sehr gut funktioniert“, sagt Geschäftsführer Florian Eicker. Inzwischen nutzen rund 60 Prozent der Gäste die Mehrweg-Schüsseln – gegen fünf Euro Pfand das Stück. Die Kosten für den Einkauf der Mehrweg-Schüsseln gibt der Gastronom an seine Kunden weiter. „Das sind 35 Cent pro Schüssel.“ In der Summe rechne sich das, sagt Eicker. Etwa 80 Bowls in Mehrweg-Schüsseln verkauft das Poké Pelelina im Monat. „Je mehr Betriebe beim Mehrweg mitmachen, desto einfacher wird es für die Kunden“, ergänzt Mauracher, denn die Behälter und Kaffeebecher könnten sie dann überall zurückgeben.

Verpackungsgesetz wird novelliert

Um Mehrweg-Geschirr kommt die Gastroszene aber sowieso bald nicht mehr herum. Denn nächstes Jahr tritt das novellierte Verpackungsgesetz in Kraft. Restaurants mit über 80 Quadratmetern Fläche, Caterer und Lieferdienste sind dann verpflichtet, auch Mehrwegbehälter als Alternative zu Einwegbehältern für Essen und Getränke zum Mitnehmen und Bestellen anzubieten. Und zwar ohne Aufpreis. Dazu müssen kleinere Gastrobetriebe mitgebrachte Schüsseln oder Becher auf Wunsch ihrer Kunden füllen. Kontrollieren wollen das die Ordnungsämter bei Stichproben. „In jedes Lokal einen Kontrolleur zu schicken, das wird nicht funktionieren“, sagt Clara Herrmann. Dafür habe das Ordnungsamt zu wenig Personal. Der Rathauschefin gehen die neuen Vorschriften aber noch nicht weit genug. „Ich würde mir auf Bundesebene ein strengeres Gesetz wünschen. Mehrweg sollte keine Option, sondern Pflicht sein.“ Bei Großevents achtet der Bezirk bereits strikt auf Zero Waste. So müssen Veranstalter ein Müllvermeidungskonzept vorlegen, wenn sie die Genehmigung haben wollen.

Das Mehrweg-Projekt an den zwei Hotspots läuft bis November. Beratungsgespräche bekommen Gastrobetriebe noch bis Ende Oktober. Finanziert wird das Projekt nebst Infokampagne mit 60 000 Euro aus dem Fördertopf „Besondere touristische Projekte in den Bezirken“ der Senatswirtschaftsverwaltung.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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