Kleine große Geste: Bezirk wird Kosten für die Verlegung von Stolpersteinen übernehmen
Friedrichshain-Kreuzberg. Es passiert in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) selten, dass ein CDU-Bezirksverordneter für eine Rede lang anhaltenden Beifall von nahezu der gesamten Versammlung bekommt.
Timur Husein, dem Fraktionsvorsitzenden der Union, ist das am 1. März passiert – für einen Antrag, dem sich ebenfalls fast alle anderen bereits im Vorfeld angeschlossen hatten.
Es ging darin um die „Kostenfreiheit für die Nachfahren von Opfern des Nationalsozialismus bei der Verlegung von Stolpersteinen in Friedrichshain-Kreuzberg“, so die etwas sperrige Überschrift. Familienmitglieder, die sich um solch ein Gedenken für ihre verfolgten und meist ermordeten Vorfahren bemühen, sollen dafür nicht auch noch bezahlen.
Der finanzielle Beitrag, den sie für einen Stolperstein aufbringen müssen, ist mit 125 Euro zwar eher überschaubar. Für Timur Husein und mit ihm der überwältigenden Mehrheit in der BVV stand deshalb weniger die Summe, als vielmehr die „symbolische und notwendige Geste“ im Vordergrund. Sie wird wahrscheinlich auch von vielen Angehörigen als Zeichen gesehen. Die haben nämlich ganz andere Ausgaben, wenn sie sich dafür entscheiden, einen während der Nazizeit umgekommenen Verwandten auf diese Weise vor seiner letzten Adresse in Friedrichshain-Kreuzberg zu würdigen. Viele von ihnen leben im teilweise weit entfernten Ausland, die Kosten für die Reise tragen sie selbst. Das wird inzwischen schon deshalb ziemlich teuer, weil immer häufiger sehr viele Familienangehörige mitfahren.
Vom Kiez in die Welt
Als das Stolpersteinprojekt vor rund 20 Jahren begann, war das so nicht abzusehen. Lange stand die Idee im Vordergrund, dass sich Menschen in einem Kiez mit dem Schicksal eines ehemaligen Bewohners beschäftigen und den kleinen Gedenkquader bezahlen, etwa Hausgemeinschaften oder Schulklassen. Das gibt es immer noch. Aber seit sich daraus eine europaweite Initiative entwickelt hat, wuchs das Interesse auch bei den Nachkommen.
Gut zu sehen war das im November vergangenen Jahres, als an einem Sonnabend im Bezirk 20 neue Stolpersteine von Initiator Gunter Demnig gesetzt wurden. Allein fünf vor einem Haus an der Barnimstraße. Für die Würdigungen gesorgt hatten vor allem Familienmitglieder, die aus Israel und Schweden kamen. Manchmal waren sie mit drei Generationen vertreten. Dass diese Menschen auch noch die Kosten für die Steine übernehmen müssen, sei „unangemessen“, fand Timur Husein.
Eine riesige Belastung für den Haushalt bedeutet sein Antrag nicht. Schon wegen der großen Nachfrage gibt es in Friedrichshain-Kreuzberg nur noch wenige Termine für Stolpersteinverlegungen. Abgerechnet der einheimischen Initiativen, blieben geschätzt höchstens zwei Dutzend pro Jahr, die der Bezirk bezahlen müsste. Das wären gerade einmal um die 3000 Euro. Außerdem bestehen von den Personen, für die die Geste gedacht ist, auch einige darauf, diese Kosten selbst zu begleichen. Das sei natürlich zu respektieren, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende. Aussagen, die einen fast uneingeschränkten Applaus nach sich zogen. Mit Ausnahme des einzig anwesenden AFD-Vertreters, der sich auch bei der Abstimmung, im Gegensatz zu allen anderen Bezirksverordneten, enthielt. Es gebe eben eine Fraktion, „die hadert noch immer mit der Erinnerungspolitik“, war dazu der Kommentar des Antragstellers.
Am Donnerstag, 23. März, werden im Bezirk die nächsten Stolpersteine verlegt. Zunächst um 11.35 Uhr an der Böckhstraße 47 zum Gedenken an die Familie Berlin, danach um 12.10 Uhr für die Familie Kaufmann an der Boxhagener Straße 50. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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