Neue Piraten an Bord
Die Freibeuter-Odysse geht weiter

Erneut wurde der Freibeuter geentert. | Foto: Thomas Frey
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Vermiete eine Liegenschaft, die dir nicht gehört und schau, was dann passiert. So lautet das neustes Kapitel in der anscheinend unendlichen Freibeuter-Geschichte.

Am 15. Oktober sollten die bisherigen Nutzer, die Gesellschaft Spreewohnen in Gründung, das ehemalige Jugendfreizeitschiff im Rummelsburger See an den Bezirk übergeben. So entschieden durch Gerichtsvergleich im August.
Spreewohnen hatte, wie mehrfach berichtet, den Kahn 2016 erworben, war aber den größten Teil der Kaufsumme von 225 000 Euro schuldig geblieben.

Als Vertreter des Bezirksamtes gegen 13 Uhr das Schiff übernehmen wollten, wurde ihnen zwar der Schlüssel übergeben. Aber bereits zuvor war mitgeteilt worden, dass es einen Mietvertrag mit einem Künstler gebe. Der habe sich entschlossen, an Bord zu bleiben. Damit er nicht auf die Schnelle vertrieben werden konnte, befanden sich noch weitere "Gäste" auf dem Freibeuter.
Die Bezirksamts-Abordnung sah keine Möglichkeit, in diesem Moment wieder Herr auf dem Boot zu werden. Sie bekam nur einen kurzen Einblick in den Mietvertrag. Er wurde demnach am 18. März dieses Jahres zwischen der Spreewohnen und dem Künstler abgeschlossen. Gültig für 50 Quadratmeter Fläche. Der Kontrakt wird als "Scheinmietverhältnis" gewertet, eventuell abgeschlossen, um der bisherigen Crew den Verbleib zu ermöglichen.

Bezirksamt will nicht räumen müssen

Was folgt daraus? Da die vereinbarte Übergabe nicht umgesetzt werden konnte, könnte jetzt eine Räumung per Gerichtsvollzieherin beantragt werden. Über das weitere Vorgehen werde zeitnah eine Entscheidung getroffen, hieß es in der Bezirksverordnetenversammlung am 17. Oktober.  Am gleichen Tag hat Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis90/Grüne) mit den aktuellen Freibeuter-Piraten verhandelt. Das Ergebnis waren anscheinend weitere Gespräche.

Schmidt hatte sich zuvor ablehnend gegenüber einer Räumung geäußert. Das Ziel sei, nicht räumen zu müssen, erklärte auch Bürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis90/Grüne). Allerdings in einer etwas anderen Tonlage. "Die Mehrheit im Bezirksamt hat eine ganz klare Haltung." Was wohl heißen soll: Keinen weiteren Präzendenzfall schaffen.

Pleiten, Pech und Pannen

Das Schiff entwickelte sich zu einer Odyssee für die Bezirkspolitik. Der Begriff verweist auf die mehrjährigen Abenteuer der griechischen Mythengestalt Odysseus. Verglichen mit den Fährnissen um den Freibeuter waren die Herausforderungen für den antiken Helden aber schon fast eine Art Ferientrip.

Die Vorgeschichte: Das Schiff war einst eine Jugendfreizeitstätte. Als der Träger aufgab, rostete es einige Jahre vor sich hin. Einen Nachnutzer in diesem oder einem ähnlichen Segment gab es nicht. Wohnnutzung in der Rummelsburger Bucht untersagte der Senat vor einigen Jahren. Der Kahn konnte schon deshalb dort nicht bleiben. Weil er aber auch unter die meisten Brücken nicht passte, war selbst ein Transfer an einen anderen Liegeplatz problematisch. Der Bezirk als Eigentümer hatte deshalb 2016 nur noch das Interesse, jemanden zu finden, der ihm das Schiff abkauft und anschließend verschrottet.

Ein unerwartetes Angebot: Überraschenderweise gab es bei der Ausschreibung eine Offerte der Genossenschaft Spreewohnen in Gründung. Sie bot 225 000 Euro für den Erwerb. Ein Geldsegen, mit dem nicht zu rechnen war. Auch wenn das Angebot schon damals manchen suspekt erschien. Wären den Käufern die verschiedenen Schwierigkeiten klar? Die hätten die entsprechenden Passagen im Vertrag unterschrieben, wurde später beteuert.

Sehr schnell zeigte sich, dass es Probleme mit Spreewohnen gab. Denn die Genossenschaft beglich die Summe nur zu einem geringen Teil. Auch das Insistieren auf ein Wegschleppen des Kahns schien sie kalt erwischt zu haben. Andere Liegeplätze würden sich nicht finden lassen, erklärte ihr Sprecher Markus Ibrom im Frühjahr 2017 im Stadtplanungsausschuss. Was gerade diese Problem betraf, seien sie wohl "etwas zu jungfräulich" gewesen. Von einer festen Adresse hingen auch Kredite und damit das Entrichten des Kaufpreises ab. Ibrom warb stattdessen für die völlig neue Community, die auf dem Freibeuter entstehen soll. Ein Ort für neue Lebensformen, einem nachhaltigen Ansatz von wohnen und arbeiten.

Tango und Tacheles. Der Bezirk setzte einige Fristen für die ausstehenden Zahlungen und beschritt dann den Rechtsweg. Auf dem Freibeuter etablierte sich ein Veranstaltungsprogramm mit Tango-Tanzen und weiteren Aktivitäten. Dass sie auf einem sozusagen gekaperten Kahn stattfanden, war für Außenstehende kaum ersichtlich. Und wer die Zusammenhänge kannte, fragte sich: Agierten die selbst ermächtigten Betreiber hier völlig naiv? Oder vielleicht eher besonders gerissen?

Ende August 2018 kam es schließlich zum Vergleich vor Gericht. Spreewohnen verpflichtete sich, das Schiff bis spätestens 15. Oktober zu verlassen. Dass bereits im März mit einem anderen Nutzer einen "Mietvertrag" abgeschlossen wurde, war nicht Gegenstand der Verhandlung. Diese Überraschung gab es erst beim geplanten Räumungstermin.

Viele Fragen. Schon bevor die neuerliche Wendung eintrat, sahen Frank Vollmert und Oliver Nöll (Linke) einigen Klärungsbedarf. Nach seiner "konservativen Berechnung" seien in Zusammenhang mit dem Schiff inzwischen 40 bis 50 000 Euro versenkt worden, sagt Vollmert. Darin eingerechnet nicht nur die monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe von etwas mehr als 2400 Euro sowie die Verzugszinsen für den Kaufpreis, angegeben mit 6754,50 Euro, auf die der Bezirk im Rahmen des Vergleichs verzichtet hat. Sondern auch Anwaltskosten für dieses Verfahren in knapp fünfstelliger Höhe. Außerdem sei anzunehmen, dass die Jahre, in denen der Freibeuter vor sich hingammelte, ebenfalls pekuniäre Aufwendungen nach sich gezogen haben.

Im Zusammenhang mit dem Vergleichsergebnis interessiert das Duo außerdem, wie Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis90/Grüne) zu der Ansicht gelangte, die finanzielle Leistungsfähigkeit des Prozessgegners sei zu gering, um die Forderungen zu begleichen. Immerhin habe der Bezirk Spreewohnen zwei Jahre zuvor für potent genug erachtet, 225 000 Euro auf den Tisch zu legen. Apropos – wurde die Bonität damals geprüft? Fragen, auf die es bisher keine umfassenden Antworten gab.

Was passiert wenn? Auch wenn die erneute Piraterie auf dem Freibeuter beendet wird, stellt sich als neues, altes Problem: Was passiert dann mit dem Kahn? Der Bezirk hat inzwischen eine erneute Ausschreibung auf den Weg gebracht. Sie richtet sich dieses Mal explizit nur an Interessenten, die das Schiff zwecks Verschrotten erwerben wollen. Am 19. Oktober endete dafür die Frist. Drei Tage zuvor erklärte Bürgermeisterin Monika Herrmann, dass sich noch kein Bewerber gemeldet habe.

Vielleicht, weil das angesprochene Klientel auf eine ähnliche Kostenanalyse kam, wie das Bezirksamt. Nach dessen Berechnungen könnte der Abtransport bis zu 100 000 Euro teuer werden. Er müsste wahrscheinlich über Land erfolgen, der Freibeuter zuvor vor Ort zerkleinert werden. Möglich wäre vielleicht auch ein Entsorgen über Wasser, was günstiger käme. Allerdings auch da nicht ohne vorherige Abbauten mancher Aufbauten. Und ob gleichzeitig ein entsprechender Gegenwert aus den noch verwertbaren Teilen herausgeholt werden kann, erscheint zumindest zweifelhaft.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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