Gotteshaus wird zum Ort der Opposition
Die Geschichte der Samariterkirche - (nicht nur) zum 9.November
Die Samariterkirche spielte eine wichtige Rolle in der Vorgeschichte des 9. November 1989. Ohne das Aufbegehren unterschiedlicher Gruppen in der DDR wäre es vor 30 Jahren nicht zum Mauerfall gekommen. Bis heute ist diese Zeit mit den Bluesmessen oder Personen wie dem Pfarrer Rainer Eppelmann verbunden.
Die Bedeutung der Kirche vor und während der friedlichen Revolution passt zu ihrer Geschichte. Und auch wieder nicht. Der Widerstand zu DDR-Zeiten war nicht der erste, der sich dort artikulierte. Bei ihrem Bau war aber sicher nicht daran gedacht worden, dass dort ein Ort der Opposition entstehen könnte.
Kirchenjustes Mission: Am 20. Oktober feierte die Samariterkirche Jubiläum. Sie wurde an diesem Tag 125 Jahre alt. An diesem Tag eröffnete auch eine Ausstellung, die bis Weihnachten zu sehen ist: Samariter von den Anfängen im Jahr 1894 bis heute.
Sein Entstehen verdankt auch dieses Gotteshaus dem ehrgeizigen Kirchenbauprogramm der Kaiserin Auguste Viktoria, Gattin von Kaiser Wilhelm II. Die fromme Regentin fand, es müsste der wachsenden Zahl von in den Atheismus abgleitenden Menschen etwas entgegen gesetzt werden. Prachtvolle Kirchen sollten sie wieder zurück zum Glauben führen und gleichzeitig das Bündnis von Thron und Altar bekräftigen. Die Bemühungen zeigten eine überschaubare Wirkung. Speziell in Berlin. Die Mission der Monarchin wurde eher bespöttelt, sie erhielt den Spitznamen "Kirchenjuste".
Was blieb waren die Gebäude. Manchmal zunächst auf freiem Feld errichtet, wie im Fall von Samariter. Das umliegende Quartier entstand erst in den folgenden Jahren.
Bekennende Kirche: Das Ende der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg traf gerade die evangelische Kirche schwer. War doch der Kaiser und König von Preußen bis dahin ihr oberster Schutzherr. Während der Weimarer Republik waren viele ihrer Mitglieder konservativ und deutschnational geprägt. Und viele versammelten sich bereits vor 1933 hinter den Nazis. Auch in Samariter und bei deren Predigern. Gleichzeitig gab es dort den Pfarrer Wilhelm Harnisch (1887-1960). Er war seit 1931 in der Gemeinde und verstand sein Amt auch immer als Seelsorger. Während der Weltwirtschaftskrise richtete Wilhelm Harnisch in der heutigen Bänschstraße einen Arbeitslosenladen ein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er einer der wichtigsten Vertreter zunächst des Pfarrernotbundes, aus dem dann die Bekennende Kirche als Opposition zu den NS-treuen "Deutschen Christen" hervorging.
Harnisch wurde mehrfach mit Predigtverbot belegt und verhaftet. Sein mutiges Eintreten fand Unterstützer, stieß aber auch auf Gegenwehr, bis zur Denunziation. Er blieb auch nach dem Krieg und bis wenige Jahre vor seinem Tod Pfarrer in Samariter. Nach ihm ist heute die Seniorenresidenz Dr.-Harnisch-Haus an der Liebigstraße benannt.
Eppelmann entdeckt den Blues: Wenigstens einige Freiräume erhalten, das kennzeichnete vor allem das Agieren der Kirchen in den ersten Jahrzehnten der DDR. In Samariter änderte sich diese eher defensive Haltung Ende der 1970er Jahre mit dem Auftreten des Pfarrers Rainer Eppelmann. Eppelmann, gleichzeitig Kreisjugendpfarrer in Friedrichshain, griff den Vorschlag des Musikers Günter "Holly" Holwas auf, in der Kirche Bluesmessen zu veranstalten. Sie sollten aber kein reiner Bandauftritt werden. Zum Programm gehörten Bibeltexte, Gedichte und Sketche, auch und gerade mit politischem Inhalt. Zur ersten Bluesmesse am 1. Juni 1979 kamen 250 Menschen. Die Zahl stieg auf rund 7000 vier Jahre später.
Samariter fasste den Ansturm bald nicht mehr. Es gab weitere Konzerte in der Auferstehungskirche an der Friedenstraße, schließlich in der Erlöserkirche in Lichtenberg. Bis zum Herbst 1986 gab es 20 Veranstaltungen. Ein Mix, den die Staatsmacht natürlich für hochexplosiv hielt und gegen den sie nicht nur mit Stasi-Spitzeln anging. Es gab auch Pläne, Rainer Eppelmann durch einen Autounfall umzubringen. Was den Pfarrer vor allem schützte, war seine wachsende Bekanntheit, gerade auch im Westen.
Bei den Bluesmessen wurde vieles gesagt, was ansonsten eigentlich unsagbar war. Neue Ideen und Alternativen kamen auf. Sie waren deshalb eine wichtige Keimzelle für die Ereignisse im Jahr 1989. Auch für die Gemeinde.
Nach der Epochenwende wurde aus dem Pfarrer ein Politiker. Eppelmann gründete zusammen mit dem Rechtsanwalt Wolfgang Schnur den "Demokratischen Aufbruch". Schnur, der Hausanwalt der Samariter-Opposition, wurde wenig später als Stasi-Spitzel enttarnt.
Bei der ersten und letzten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 trat der "Demokratische Aufbruch" als Teil der von der CDU gezimmerten "Allianz für Deutschland" an. Er erhielt nur 0,9 Prozent. Rainer Eppelmann wurde aber danach bis zur Wiedervereinigung Abrüstungs- und Verteidigungsminister der DDR.
Bei dieser Partei begann übrigens damals auch die Karriere einer Frau, die dort zunächst als Pressesprecherin wirkte. Ihr Name: Angela Merkel.
Erfahrungen aus 1989: Edeltraut Pohl verkörpert die Kontinuität in Samariter. 1984 begann sie dort ihre Arbeit als Sekretärin von Rainer Eppelmann. Nach der Wende wurde sie Beauftragte für Ausländerarbeit in der Gemeinde und macht das bis heute. Konkret bedeutet das, sie gibt Rat und Hilfe für Menschen, die aus welchen Gründen auch immer in Deutschland Zuflucht suchen. Das reicht von der Suche nach Unterkünften und Behördengänge, über Aktivieren von Ärzten und Anwälten und kann auch, wie schon passiert, auch Kirchenasyl bedeuten. Der Ausgangspunkt für dieses Engagement, das hat Edeltraut Pohl schon mehrfach betont, liege in den Ereignissen vor 30 Jahren. Sie hätten gezeigt, dass sich Dinge verändern lassen.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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