„Der Tod ist gutmütig“: „Eurydike“ im Theaterforum Kreuzberg
Kreuzberg. Die griechische Mythologie bietet Stoff für viele Adaptionen auch im zeitgenössischen Theater. Das gilt auch für die Liebesgeschichte von Orpheus und Eurydike, die der französische Dramatiker Jean Anouilh bereits vor 75 Jahren auf seine Weise interpretiert hat.
Anouilhs „Eurydike“ hat das Theaterforum Kreuzberg als Jubiläumsinszenierung anlässlich seines 30. Geburtstags neu auf die Bühne gebracht. Im Haus in der Eisenbahnstraße 21 erlebt das Stück seine erste Berliner Wiederaufführung seit 1947. Das Theaterforum bleibt dabei seiner seit einigen Jahren von der künstlerischen Leiterin Anemone Poland eingeschlagenen Linie treu. Nämlich vergessenen oder zu Unrecht selten gespielten Werken der klassischen Moderne ein Forum zu geben.
Das gelingt auch mit Eurydike und es braucht wenig um die mehr als sieben Jahrzehnte alte Vorlage in die aktuelle Jetztzeit zu verfrachten. Außer, dass als Zahlungsmittel der Euro genannt wird und am Ende manche Anklänge über das heutige Management- und Finanzmarktsystem zu vernehmen sind.
Für die Handlung ist das aber eher unwichtig. In ihrem Mittelpunkt steht wie der Titel schon sagt, Eurydike, jene sagenhafte antike Frauengestalt, der Orpheus nach ihrem Ableben ins Reich der Toten folgt. Bei Anouilh ist Eurydike Mitglied einer drittklassigen Schauspieltruppe mit der sie durch die französische Provinz tingelt. Selbsternannter Star des Ensembles ist ihre Mutter, die die alternde Diva gibt. Orpheus schlägt sich wiederum, begleitet von seinem großmäuligen Vater als Straßenmusikant durchs Leben. Er betört Eurydike nicht wie in der klassischen Vorlage durch seinen Gesang, sondern mit der Geige.
Zwischen beiden entwickelt sich schnell eine heftige Liebesgeschichte. Sie verlassen ihr bisheriges Dasein und finden Unterschlupf in einem billigen Hotel. Während Orpheus sich ganz auf das neue Glück einlässt, ist Eurydike von Zweifeln geplagt. Sie ahnt und erfährt es bald, dass sich die Vergangenheit nicht einfach abschütteln lässt. Damit konfrontiert entschließt sie sich zur erneuten Flucht, die durch einen Autounfall tödlich endet.
Spätestens hier wird klar, warum das Stück Eurydike und nicht Orpheus heißt. Denn Anouilh hat die Frau als Handelnde und den Mann eher als passiven Begleiter gezeichnet. Sie hinterfragt die Situation und traut der vermeintlichen Idylle nicht. Er sieht alle Brücken abgebrochen und hat sich ganz auf eine blühende Zukunft eingestellt. Umso größer ist seine Trauer nach dem Ableben der Geliebten und der Schock, als der Anlass für ihr Verschwinden bekannt wird.
Aber es gibt noch eine zweite Chance. Dafür sorgt Freund Hein, der zunächst ominöse Begleiter auch schon vorangegangener Szenen, hinter dem sich der Tod verbirgt. Hein verspricht Orpheus die Rückkehr von Eurydike ins Leben, der Geliebte darf ihr aber bis zum Morgengrauen nicht ins Gesicht schauen. Sein Schmerz hätte ihn gerührt, begründet der Bote ins Jenseits seine Großzügigkeit. „Der Tod ist gutmütig.“
Die Prüfung markiert natürlich den Showdown. Mit einem Ausgang, der Kennern der griechischen Mythologie bekannt ist, bei dem aber hier noch einige weitere Wendungen eingebaut werden. Es geht um gegenseitiges Vertrauen, den Umgang mit dem bisherigen Leben, der Frage, ob es eine völlig erfüllte Liebe im Diesseits geben kann. Und als eine Art Chor spielen auch die meisten bisherigen Begleiter des Paars eine Rolle.
Anouilhs Bearbeitung und was das Theaterforum daraus gemacht hat zeigt, dass Themen der griechischen Tragödie bis heute ihren aktuellen Bezug haben. Unterstrichen wird das auch durch die Leidenschaft, mit der das 13-köpfige Ensemble agiert. Das gilt für Alex Anasuya als emotionale Eurydike und Thilo Herrmann, der den Orpheus verkörpert ebenso, wie für die meisten Nebenrollen. Etwa Inga Pabst, die ihre Auftritte als abgetackelte Schauspielerin und Mutter der Titelheldin zelebriert. Oder für Philipp-Manuel Bodner, der den Todesboten verkörpert.
Die Inszenierung steht gleichzeitig für das Engagement eines Theaters, das, wie viele andere kleine Spielstätten in Berlin keine staatliche Förderung bekommt. Es überlebt mit Hilfe von Gönnern, bei Eurydike etwa der Heinz- und Heide Dürr-Stiftung und der GLS Treuhand, durch eigene Selbstausbeutung und natürlich dem Erfolg jeder neuen Aufführung. Und das inzwischen seit 30 Jahren.
Eurydike wird bis zum 22. November, jeweils Freitag bis Sonntag um 20 Uhr aufgeführt. Die Karten kosten 18, ermäßigt zehn Euro, Tickets gibt es unter 70 07 17 10 sowie über die Website www.tfk-berlin.de. tf
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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