Stadtspaziergang
Unterwegs am Kreuzberger Spreeufer

Kreuzberger Mitte-Perspektive: Vorn im Wasser der Brommy-Brückenpfeilerrest, dahinter die Andreasbrücke und Marien- sowie Parochialkirchturm. | Foto: Bernd S. Meyer
6Bilder
  • Kreuzberger Mitte-Perspektive: Vorn im Wasser der Brommy-Brückenpfeilerrest, dahinter die Andreasbrücke und Marien- sowie Parochialkirchturm.
  • Foto: Bernd S. Meyer
  • hochgeladen von Bernd S. Meyer

Zu meiner 217. monatlichen Tour, mit der der 20. Jahrgang dieser Berliner-Woche-Spaziergänge beginnt, lade ich Sie zum Kreuzberger Spreeufer nahe der Eisenbahnstraße ein.

Klaus Emil Heinrich Zapf (1952-2014) war wohl einer der erfolgreichsten Umzugsunternehmer Berlins – tätig in jener Branche, die in dieser Stadt viel wichtiger ist als irgendwo sonst – mit Abstand. Der Stadtgänger hat den legendären Gründer des „Umzugskollektivs“ nicht persönlich gekannt, aber vor Jahren sah er ihn einmal von Weitem. Vom Brommybalkon am Spreeufer hinter dem Maschendrahtzaun seines Firmengrundstücks in zwei Dutzend Meter Entfernung spreeaufwärts. Dort saß er beim Angeln – unverkennbar mit seinem langen grauen Bart und in einem abgeschabten Mantel. Aber das ist auch schon wieder mindestens ein Dutzend Jahre her.

Die Firma Zapf ist nach dem allzu frühen Tod ihres Chefs längst von ihrem Kreuzberger Wassergrundstück nach Neukölln weitergezogen, hat auch die große Bronzefigur dorthin mitgenommen, die früher hier zwischen Containern und Möbelwagen stand und von der Ecke Köpenicker und Brommystraße gut zu sehen war. Ein Standbild Lenins, einst Gründer der Sowjetunion, erkennbar auch am sorgfältig geschnittenen Bart. Klaus Zapf, gebürtiger Badenser aus Bad Rappenau, war als sehr junger Mann noch rechtzeitig und vor dem Abitur nach Berlin umgezogen, um den Dienst in der Bundeswehr zu vermeiden. Im alten Westberlin gab es keine Wehrpflicht. Später studierte er Jura und besorgte sich nebenbei einen alten Bulli. Sogar ein Spielfilm nach seiner Geschichte wurde gedreht. Es ist ein Treppenwitz, dass er ab 1985 mit seiner wachsenden Firma auf einstigem Gelände der Militär-Telegraphenschule saß. Daneben war die Pionier-Kaserne. Dort wo er zuletzt angelte, befand sich noch bis 1931 unweit vom einstigen Oberbaum die beliebte Pfuelsche Schwimmanstalt.

Bäckerei und Brot-Magazin des Proviantamtes des Gardes du Corps sind heute ein ganz besonderer Veranstaltungsort. | Foto: Bernd S. Meyer
  • Bäckerei und Brot-Magazin des Proviantamtes des Gardes du Corps sind heute ein ganz besonderer Veranstaltungsort.
  • Foto: Bernd S. Meyer
  • hochgeladen von Bernd S. Meyer

Wussten Sie, dass diese von General Ernst von Pfuel, einem Freund des Dichters Heinrich von Kleist und dann auch Förderer des Brustschwimmens, im Sommer 1817 hier als Militär-Badeanstalt gegründet worden war? Schon der Alte Fritz hatte nämlich auf den Freiflächen zwischen Spree und Köpenicker Straße den Bau von sechs Infanteriekasernen angeordnet. Damals wurden – nicht in Berlin, aber in Preußens nahen wie fernen Provinzen – die Soldaten nach einem Kantonsystem ausgehoben, freiwillig oder unfreiwillig, woraus sich auch die Raten von Fahnenflüchtigen gründeten. So sprach man beim Militärfiskus im damals größten Berliner Standort je nach Risikowahrscheinlichkeit bald von den sicheren und den unsicheren Kantonisten. Vor fast 210 Jahren, am 19. Mai 1814, ist sogar ein Bataillon echter Schweizer aus dem lange von Preußen verwalteten Neuchâtel in die preußische Garde aufgenommen worden. Bei den Berlinern hieß die Truppe in der damaligen Luisenstadt bald „die Neffchandeller“ und war beliebt, da Bürgerssöhne zuerst hier als privilegierte Einjährig-Freiwillige dienen durften. So auch viel später der Garde-Kürassier Walter Rathenau (um 1890) und der Garde-Pionier Karl Liebknecht (1893/94). Dort sitzen jetzt diverse Firmen.

Das Kreuzberger Spreeufer von der Doppekaianlage mit Signalkugelturm bis zum Turm des Roten Rathauses.  | Foto: Bernd S. Meyer
  • Das Kreuzberger Spreeufer von der Doppekaianlage mit Signalkugelturm bis zum Turm des Roten Rathauses.
  • Foto: Bernd S. Meyer
  • hochgeladen von Bernd S. Meyer

Im Behala-Speicher sammelten die Nazis beschlagnahmte Kunst aus Museen, die 1937/38 in der Schandausstellung „Entartete Kunst“ diffamiert, später auch ins Ausland verkauft wurde. Von den alten Kasernen blieben die nach 1880 errichteten Klinkerbauten der Bäckerei und des Brot-Magazins des Proviantamtes des Gardes du Corps erhalten. Genau daneben querte seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Schienenstrang die Spree. Vom Frankfurter Bahnhof auf der rechten Uferseite fuhr der vom Militär nach 1848 geforderte „Verbinder“ unter Dampf über eine Bahn-Drehbrücke Richtung Südwesten, verband alle Kopfbahnhöfe rings um die Stadt auf Straßenland, bis ihn 1871 die Ringbahn ersetzte und nur noch ein Teilstück die Gaswerke an der Gitschiner mit Kohle versorgte.

Die Eisenbahnstraße heißt bis heute so, der alten Spreebrücke folgte im Dezember 1909 die neue Straßenbrücke, wie die Verlängerung hinüber zur Mühlenstraße nach Admiral Karl Rudolf Bromme benannt. Der gebürtige Sachse aus Leipziger Gegend war Chef der unter Schwarz-Rot-Gold fahrenden, ersten deutschen Reichsmarine gewesen, die auf Beschluss der Frankfurter Nationalversammlung 1848 gegründet und dann 1853 wieder abgewickelt wurde. Auch diese Brücke ist Ende April 1945 gesprengt worden, nur ein Pfeilerrest ragt aus dem Wasser.

Das Friedrichshainer Spreeufer an der Brommystraßen- Sackgasse ist auch ohne Brücke wie zum Greifen nah. | Foto: Bernd S. Meyer
  • Das Friedrichshainer Spreeufer an der Brommystraßen- Sackgasse ist auch ohne Brücke wie zum Greifen nah.
  • Foto: Bernd S. Meyer
  • hochgeladen von Bernd S. Meyer

Seit 2007 gibt es den Brommybalkon, der stetig an die zweite Straßenverbindung über die Spree im Stadtbezirk erinnern soll. In der Umgebung hat sich inmitten von Alt- und Nachkriegswohnungbau die „Eisenbahnmarkthalle“ (Halle IX) erhalten, die Hochbaustadtrat Hermann Blankenstein als eine von 14 für die Stadt errichtete. Damals galt die Köpenicker mit ihrem Baumbestand als eine der schönsten Straßen Berlins. Hinter der Pfuelstraße, heute May-Ayim-Ufer, wurde die einst von Kaiser Wilhelm II. geförderte Doppelkaianlage restauriert, ein Bootsanleger aus den 1890er-Jahren. Anstatt des kriegszerstörten Leuchtturms ist dort nun ein stählerner Zehn-Meter-Signalmast mit auf- und absteigender rotleuchtender Signalkugel im Sputnikformat zu bestaunen – in Spreeblickrichtung zur silbrigen Fernsehturmkugel hoch oben.

Signalturm: Spreeblick ab Doppelkaianlage mit Signalkugel bis Fernsehturm. | Foto: Bernd S. Meyer
  • Signalturm: Spreeblick ab Doppelkaianlage mit Signalkugel bis Fernsehturm.
  • Foto: Bernd S. Meyer
  • hochgeladen von Bernd S. Meyer

An der Ecke Köpenicker und Eisenbahnstraße steht ein großer heller Wohnhausneubau mit Ladenlokalen, an den zu beiden Seiten alte Berliner Mietshäuser anschließen. Auf den ersten Blick eine typische Ecke der einstigen Luisenstadt, doch hier wurde schon 1972 das soziokulturelle Projekt Forum Kreuzberg gegründet. Es ist seitdem eine selbstverwaltete Mischung verschiedener Interessen: Wohnen, Kultur, Soziales. Zusammen sechs Häuser, gefühlt wie ein Dorf in der Stadt. Im Haus Eisenbahnstraße 21, dem Theaterforum, läuft in diesen Januartagen abends das Stück „Rita und die Kleider der Frauen“, und an der Straßenecke wirbt das „Museum des Kapitalismus“ um Besucher.

Der Spaziergang beginnt am Sonnabend, 13. Januar, um 11 Uhr . Treffpunkt ist das Magazin Heeresbäckerei, Köpenicker Straße 16, in Kreuzberg – zu erreichen mit der U-Bahn-Linie U8 bis Heinrich-Heine-Straße oder mit dem Bus 265 bis Manteuffelstraße, 100 Meter bis Eisenbahnstraße. Die Tour wiederhole ich am 27. Januar um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.

Die Führung am 13. Januar ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Dienstag, 9. Januar, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.

Autor:

Bernd S. Meyer aus Mitte

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

3 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" in der Zossener Straße ist imer einen Besuch wert.
6 Bilder

Yummy Kitchen
Köstlichkeiten aus der südindischen und sri-lankischen Küche

Seit 2021 existiert das Spezialitätenrestaurant "Yummy Kitchen" im angesagten Kreuzberger Kiez und lädt Liebhaber der südindischen und sri-lankischen Küche zum ausgiebigen Schlemmen und Genießen ein. So wundert es nicht, dass sich die Location, die über Innenplätze auf zwei Ebenen sowie einen gemütlichen Außenbereich verfügt, zu einem geschätzten Treffpunkt gemausert hat, der zahlreiche Berliner Stammgäste, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland regelmäßig begrüßt. Verkehrsgünstig und...

  • Kreuzberg
  • 26.04.24
  • 175× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 265× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 258× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! | Foto: milangucic@gmail.com

Schonende OP-Methode
Patienteninfo: Wenn die Hüfte schmerzt

Hüftschmerzen beeinträchtigen Ihr Leben? Lassen Sie sich nicht länger quälen! Entdecken Sie die neuesten Wege zur Befreiung von Hüftschmerzen auf unserem Infoabend. Unser renommierter Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums, Tariq Qodceiah, führt Sie durch die modernsten Methoden bei Hüftoperationen. Erfahren Sie, wie die schonende AMIS-Methode eine minimalinvasive Implantation von Hüftprothesen ermöglicht und die Fast-Track-Behandlung eine rasche...

  • Hermsdorf
  • 26.04.24
  • 115× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 325× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 655× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.