Lehrer Albrecht Johann hat seine Erinnerungen in einem Buch veröffentlich

Albrecht Johann mit seinen Schulerinnerungen. | Foto: Frey
  • Albrecht Johann mit seinen Schulerinnerungen.
  • Foto: Frey
  • hochgeladen von Thomas Frey

Kreuzberg. Der Name der Schule soll in dem Artikel nicht vorkommen, bittet Albrecht Johann. Dort habe sein Buch bereits ziemlichen Ärger verursacht.

Warum, erschließt sich bei der Lektüre nicht. Denn "Rock’n’Roll und Ramadan", so der Titel, ist vieles, aber bestimmt keine böse Abrechnung. Eher eine Zeitreise durch mehr als drei Jahrzehnte Alltag an einer Kreuzberger Oberschule. Und vieles, was Albrecht Johann beschreibt, trifft auch auf andere Schulen zu.

Seit 1977 hat der heute 68-Jährige Geographie, Geschichte und Politik unterrichtet. Er startet mit dem Enthusiasmus eines 68er-Studenten, der alles anders machen will. Kein Druck, keine Repressionen, ein Freund der Schüler sein. In der Realität werden seine Ideale schon vor fast 40 Jahren auf eine harte Probe gestellt. Pennäler, denen es ziemlich egal ist, ob da vorn ein Pauker steht. Oder die ihn bewusst provozieren. "Ich bin zu weich, zu lieb, zu gutgläubig", resümiert er. Jeder Arbeitstag wird zum Horror, der zunächst nur mit Hilfe eines Coaches einigermaßen bewältigt werden kann. Schnell denkt Albrecht Johann daran, sich versetzen zu lassen. Aber er bleibt und kämpft sich durch.

Viel zur Stimmung habe bereits das Gebäude beigetragen, meint er. Ein Riesenkomplex, ausgelegt für mehr als 1000 Schüler. Zwar technisch und in der Einrichtung voll auf der Höhe der Zeit, aber anonym und abweisend. Ständig ist irgendetwas kaputt, herrscht Vandalismus, wird Müll einfach liegen gelassen.

Das bessert sich etwas, als in den 80er-Jahren umgebaut und parallel dazu schulintern einiges verändert wird. Dafür gibt es wenig später Probleme mit Asbest.

Schon zuvor hat Albrecht Johann zunehmend mit den gesellschaftlichen Veränderungen in Kreuzberg zu tun. Es kommen immer mehr sogenannte Gastarbeiterkinder. Beispielhaft dafür stehen im Buch zwei Mädchen, die er Rayhan und Emine nennt. Rayhans Eltern lehnen die westliche Lebensweise ab. Die Tochter bricht aus und wohnt eine Weile in einem Mädchenprojekt. Aber dann lässt sich Rayhan auf ein angebliches "Versöhnungstreffen" mit ihrer Familie ein. Dabei wird sie entführt und in der Türkei zwangsverheiratet.

Emine hat dagegen die Chance, sich zu einer selbstbestimmten jungen Frau zu entwickeln. Ihre Mutter verlässt mit ihr und den Geschwistern den gewalttätigen Vater. Nach der Schule macht das Mädchen eine Handwerkerlehre.

Die Zeiten, als Kinder aus Migrantenfamilien, eine Minderheit waren, sind einige Jahre später vorbei. Manche Klasse bestand dann nur noch aus diesen "Neudeutschen", wie Johann sie nennt. Darauf ist der Lehrplan nicht vorbereitet. Der Lehrer greift zur Selbsthilfe und behandelt in Geschichte auch Atatürk oder das Osmanische Reich. Eine kritische Analyse ist bei seinen Schützlingen zwar weniger gefragt. Aber es wird diskutiert. Auch über den Ramadan. Wann der jeweils am Abend eines Tages endet, ist Thema einer heftigen Elternversammlung. Verschiedene Kalender verweisen auf unterschiedliche Uhrzeiten. Denn ausgerechnet im Fastenmonat soll eine Klassenfahrt stattfinden.

Der Rock’n’Roll hat es nicht nur wegen der schönen Alliteration auf den Buchtitel geschafft. Vielmehr ist Albrecht Johann ein großer Fan dieser Musik. Er organisiert Tanzkurse, bei denen die Teilnehmer mehr als nur den Hüftschwung lernen. Das kommt an. Manche schüchternen oder unauffälligen Schüler wachsen dabei über sich hinaus, hat er beobachtet.

Später ist für solche Aktivitäten immer weniger Zeit. Ab Mitte der 90er-Jahre wird gespart. Die Klassen werden größer, Lehrer bekommen zusätzliche Unterrichtsstunden. Diese Zeit habe für Probleme gesorgt, die bis heute nicht wirklich gelöst sind, findet Johann. "Es gab immer weniger die Möglichkeit, die Schüler auch individuell zu betreuen." Das wäre aber gerade jetzt besonders wichtig gewesen. Und nicht nur für diesen Abschnitt passt sein Vergleich mit der Seefahrt. "Wir waren eben nicht das Kreuzfahrtschiff. Sondern der Bergungsschlepper."

Manche Kollegen steigen aus, arbeiten weniger oder wollen nur noch in der Oberstufe unterrichten. Auch Albrecht Johann reduziert zuletzt seine Stundenzahl. 2011 geht er in den Ruhestand. Mit seinem Buch habe er seine 34 Berufsjahre reflektieren und sich selbst im Rückblick hinterfragen wollen, sagt er. Frust sei das letzte, was ihn dabei geleitet habe. "Vielmehr Leidenschaft."

So sollte das auch seine ehemalige Wirkungsstätte sehen. Um welche Schule es sich handelt, ist ohnehin unschwer herauszubekommen. Spätestens beim Lesen.

"Rock’n’Roll und Ramadan" ist bei Klett Cotta erschienen und kostet 17,95 Euro. Am 30. März liest Albrecht Johann daraus in der Urania, An der Urania 17, in Schönberg. Beginn ist um 19.30 Uhr. Der Eintritt kostet acht, ermäßigt 6,50 Euro.
Thomas Frey / tf
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

50 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet jetzt auch bei Ihnen

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Reinickendorf
  • 06.12.24
  • 644× gelesen
WirtschaftAnzeige
JRB DER HEIMWERKER hat alles, was Ihr Weihnachtsfest schöner macht. | Foto: JRB DER HEIMWERKER

JRB DER HEIMWERKER
Alles für Advent und Weihnachten

JRB DER HEIMWERKER hat ein stimmungsvolles und umfangreiches Angebot im Weihnachtsmarkt für Sie, liebe Kunden, zusammengestellt. Im EG. und 1. OG, das Sie bequem mit Rolltreppe oder Aufzug erreichen können, erwartet Sie eine große Auswahl an Weihnachtsdekoration. Christbaumkugeln und Spitzen in vielen Farben und Formen sowie viele Deko-Artikel, Figuren sind in großer Auswahl vorhanden. Das wichtigste ist ein guter Weihnachtsbaumständer und natürlich die Beleuchtung. Wir führen Lichterketten,...

  • Köpenick
  • 27.11.24
  • 731× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 409× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 42.500 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade und Mariendorf. Damit können weitere rund 42.500 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt zwei Millionen Anschlüsse in Berlin zu ermöglichen. Schnell sein...

  • Frohnau
  • 27.11.24
  • 859× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.799× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.